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zaterdag 20 juli 2019

Leo Strauss (1899-1973) en "Das Testament #Spinozas"


Het boekje van Karel D’huyvetters, God is groter. Het testament van Spinoza, dat ik in het blog van 11 juli2019 zeer kritisch besprak, werd voor mij aanleiding om nog eens om te zien naar het artikel "Das Testament Spinozas” van Leo Strauss.
“Nadat hij in 1930 zijn dissertatie Die Religionskritik Spinozas had verdedigd en gepubliceerd, schreef Leo Strauss (1899 - 1973) in de Bayerische Israelische Gemeindezeitung in 1932, het jaar waarin overal in Europa, ook in Rusland, en in Amerika het feit van het 300e geboortejaar van Spinoza werd gevierd, maar vooral omdat veel joden Spinoza als ‘hun grootste jood’ als het ware naar zich toe haalden, “Das Testament Spinozas,” waarin hij redelijk sereen zijn bezwaar verwoordde tegen deze joodse claim.” [Aldus schreef ik in het blog van 14-06-2013] In dat blog bracht ik – daar ik nog geen toegang had tot de Duitse tekst - de Engelse vertaling van
Leo Strauss, "Das Testament Spinozas," in: Bayerische Israelitische. Gemeindezeitung 8, no. 21 (1 November 1932): 322-26.

Het nog steeds interessante artikel is heruitgegeven in:
Leo Strauss, Die Religionskritik Spinozas und zugehörige Schriften [Gesammelte Schriften / Leo Strauss, Band 1]. Herausgegeben von Heinrich Meier. Gefördert durch die Carl Friedrich von Siemens Stiftung. Stuttgart, Weimar: Verlag J. B. Metzler, 1996, S. 415-422
Daaruit neem ik het hieronder over

In het Vorwort des Herausgebers lezen we over “Das Testament Spinozas, ein Artikel, der zur 300. Wiederkehr von Spinozas Geburtstag im November 1932 erschien und bei dem es sich wahrscheinlich um die letzte Publikation handelt, die Strauss in Deutschland geschrieben und abgeschlossen hat.” [Vorwort des Herausgebers, Seite X]
Voor de Franse en later de Italiaanse vertalingen van teksten van Strauss over Spinoza, werd de titel van zijn 1932 artikel gebruikt. Wat betreft de volgende uitgaven is de titel dus niet van Strauss zelf.

Leo Strauss, Le Testament de Spinoza. Ecrits de Leo Strauss sur Spinoza et le judaïsme. Paris: Cerf (18 février 1991), reprint 2004 [cf. Amazon]
Leo Strauss, Il testamento di Spinoza. Mimesis Edizioni, 2016







Das Testament Spinozas


(1932)


 

Die Stadien, welche Europa und mithin das Judentum in der Beurteilung Spinozas durchlaufen hat, können summarisch folgendermaßen charakterisiert werden: auf die Verdammung (den Bannspruch der Amsterdamer Gemeinde) folgte die Rettung (Mendelssohn), auf diese die Heiligsprechung (Heine, Heß) und auf diese endlich die Neutralität (Joël, Freudenthal). Es versteht sich, daß es in jeder dieser Epochen Männer gegeben hat, die nicht wie ihre Epoche dachten. Namentlich sei an Hermann Cohen erinnert, der - im Jahr 1910 - es auszusprechen den Mut fand, daß Spinoza »mit allem Rechte aus der Gemeinde Israels ausgestoßen werden (mußte)«.

Die Neutralität gegenüber Spinoza setzte ein, als man sich zugestehen konnte, daß die entscheidend mit Hilfe der Metaphysik Spinozas zum Siege geführte »moderne Weltanschauung« von dieser Metaphysik nicht oder nicht ganz gedeckt wird. Aber auch in diesem Stadium blieb es im allgemeinen dabei und wurde noch unterstrichen, daß unter den drei großen westlichen Philosophen des 17. Jahrhunderts - Descartes, Hobbes und Spinoza - Spinoza der wichtigste, weil der fortgeschrittenste sei: er allein hatte gewisse Konsequenzen aus der Grundlegung der modernen Philosophie gezogen, die im 19. Jahrhundert erst ganz offenbar geworden waren und nunmehr das allgemeine Bewußtsein bestimmten.

Inzwischen ist es so weit gekommen, daß der Zweifel an der »modernen Weltanschauung« das allgemeine Bewußtsein bestimmt. Wie immer es mit dem Recht dieses Zweifels steht - jedenfalls hat er zur Folge, daß die »moderne Weltanschauung« nicht mehr selbstverständlich ist, daß also ein in ihr Fortgeschrittener nicht schon um dieser Fortgeschrittenheit willen für sonderlicher Verehrung wert gehalten wird. Rüttelt der Zweifel an den Grundlagen der »modernen Weltanschauung«, so verlegt sich das Interesse notwendig von deren Klassiker auf die Männer zurück, die dieser »Weltanschauung« den Grund gelegt haben - also auf Descartes und Hobbes. Die Verehrung Spinozas, wenn sie mehr sein soll als Bewunderung seiner Begabung oder seines Charakters und als Anerkennung seiner geschichtlichen Wirksamkeit, wenn sie ihm als einem Lehrer gelten soll, muß wenigstens solange außer Kraft gesetzt werden, bis über das Recht der Grundlegung der modernen Philosophie entschieden ist.

Wir fangen also an, über den »Radikalismus« Spinozas anders zu denken als das abgelaufene Jahrhundert. Es stellt sich nunmehr heraus, daß die kühnen Neuerungen Spinozas doch nur Folgerungen, nicht aber Grundlegungen waren. Die Tatsache gewinnt nunmehr an Gewicht, daß Spinoza in der Geschichte der zentralen Wissenschaften - d. h. in der Geschichte der Naturwissenschaft einerseits, des Naturrechts andererseits - eine, verglichen mit der Bedeutung Descartes', Hobbes' und Leibnizens, nur sekundäre Bedeutung hat. Und die Tatsache, daß Spinoza erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts zu allgemeinerer Anerkennung gelangt ist, verstehen wir nunmehr auch daraus, daß er erst in dem Augenblick rezipiert werden konnte, als die »querelle des anciens et des modernes« innerhalb der Philosophie in der Hauptsache zugunsten der Modernen entschieden war und es darauf ankam, zum Zweck der Korrektur des modernen Gedankens gewisse im ersten Anlauf über den Haufen gerannte Positionen der vor-modernen Welt wiederherzustellen; denn Spinoza, auf der Grundlegung der modernen Philosophie durch Descartes und Hobbes fußend, hatte in die von ihm schon vorgefundene moderne Welt das Lebensideal der vor-modernen (antik-mittelalterlichen) Tradition, das Ideal der (theoretischen) Gotteserkenntnis, herübergerettet.

Die (jeweilige) Stellung des Judentums zu Spinoza deckt sich mit der (jeweiligen) Stellung Europas zu Spinoza. Sie deckt sich mit ihr indessen nicht ganz. Spinoza hatte innerhalb des Judentums des abgelaufenen Jahrhunderts eine eigentümliche Funktion. Als es galt, die Sprengung der jüdischen Tradition und den Eintritt der Juden in das moderne Europa zu rechtfertigen, da bot sich vielleicht keine bessere, gewiß keine bequemere Auskunft dar als die Berufung auf Spinoza: wer war geeigneter, die Rechtfertigung des modernen Judentums vor dem Forum der jüdischen Tradition einerseits, vor dem Forum des modernen Europa andererseits zu übernehmen, als Spinoza, der, wie man fast allgemein anerkannte, ein Klassiker dieses Europa war, und der, wie man wenigstens zu behaupten nicht müde wurde, seine Gedanken im Geist des Judentums und mit Mitteln des Judentums gedacht hatte? Es liegt auf der Hand, daß man in einem Zeitpunkt, in dem das moderne Europa von Grund auf erschüttert ist, sich nicht mehr vor diesem Europa um des Judentums willen und vor dem Judentum um dieses Europa willen rechtfertigen kann, gesetzt, daß man es noch will.

Die Erschütterung des modernen Europa hatte zur Folge eine Besinnung des Judentums auf sich selbst. Diese Besinnung führte nicht - nicht immer und nicht ohne weiteres - eine Veränderung in der Beurteilung Spinozas herbei: Spinoza blieb auch jetzt noch eine Autorität. Zwar bedurfte man seiner nicht mehr oder schien man doch seiner nicht mehr zu bedürfen zur Selbstbehauptung gegenüber der jüdischen Tradition und gegenüber dem modernen Europa; aber man hielt sich für gebunden, bei dem Auszug aus dem neuen Ägypten die Gebeine des Mannes mitzunehmen, der in diesem Lande zu königsgleicher Stellung aufgestiegen war, und sie in das Pantheon der jüdischen Nation zu überführen, die in ihm einen ihrer größten Söhne verehren müsse. Man handelte ohne Zweifel in gutem Glauben; aber war es recht, daß man gar nicht nach dem letzten Willen des also Geehrten fragte?

Aber was geht uns der letzte Wille Spinozas an, wenn darunter sein ausdrücklicher Wille verstanden wird? Auch Spinoza war an die geschichtlichen Bedingungen, unter denen er lebte und dachte, gebunden; in seinem Zeitalter mußte er in Konflikt mit dem Judentum geraten, in einen Konflikt, in dem beide Gegner im Recht waren: die jüdische Gemeinde, welche die Existenzbedingung des Judentums in der Zerstreuung oder, wie andere sagen, die jüdische »Form« retten mußte, und Spinoza, der den Gehalt dieser »Form«, das »unterirdische Judentum«, aus seiner Erstarrung zu lösen und damit die Wiedergeburt der jüdischen Nation in die Wege zu leiten berufen war. Man bedurfte mehrerer Jahrhunderte, bis man Spinozas Kritik am Gesetz geschmeidig genug gemacht hatte, um das Gesetz anerkennen zu können, ohne an seine Offenbartheit zu glauben. Am Ende dieser Entwicklung steht ein Geschlecht, freien Geistes genug, um Spinozas Kritik am Gesetz aufnehmen zu können, und noch freier als er, insofern es über die rohe Alternative: göttlich oder menschlich?, offenbart oder von Menschen erdacht? Hinaus ist. Der recht verstandene Spinoza steht nicht nur nicht außerhalb des Judentums - er gehört ihm vielmehr als einer seiner größten Lehrer an.

Wer Spinozas Kritik am Gesetz kennt, der weiß, daß diese Kritik ohne die Grundlegung der modernen Philosophie nicht möglich gewesen wäre. Zwar beruft sich Spinoza, um die Autorität der Bibel zu erschüttern, auch auf gewisse Schwierigkeiten des Bibeltextes; aber damit er aus diesen Schwierigkeiten, die längst vor ihm bekannt waren, die Konsequenz ziehen konnte: also hat Moses die Thora nicht geschrieben, und die weitere Konsequenz: also ist die Thora nicht offenbart; also hat die Thora keine Verbindlichkeit, dazu mußte er die philosophische Kritik am Gesetz voraussetzen, die, wenigstens so wie sie bei ihm vorliegt, an die Grundlegung der modernen Philosophie gebunden ist. Ist nun aber diese Grundlegung zweifelhaft geworden, so ist damit auch Spinozas Kritik am Gesetz zweifelhaft geworden; und damit also auch, ob er als ein Lehrer des Judentums angesehen werden darf.

Aber muß denn ein großer Mann, den man verehren will, notwendig ein großer Lehrer sein? Sollte es nicht beispielsweise auch große und darum verehrungswürdige Irrlehrer geben? Und wenn dieser große Irrlehrer - hinsichtlich dessen es zudem ja noch gar nicht feststeht, daß er ein Irrlehrer war - ein Jude ist: hat die jüdische Nation dann nicht das Recht und die Pflicht, sich seiner stolz und dankbar zu erinnern?

Spinoza war Jude. Die Tatsache ist beglaubigt, daß er als Jude geboren und erzogen worden ist. Aber sollen wir die Namen anderer, Spinoza am Ende ebenbürtiger Männer nennen, die ebenfalls als Juden geboren und erzogen worden sind, und deren stolz und dankbar als Jude zu gedenken sich schwerlich ein Jude untersteht? Wir brauchen diese Namen nicht zu nennen und können doch den Satz für bewiesen halten, daß die jüdische Herkunft und Erziehung eines großen Mannes, für sich genommen, kein Recht dazu gibt, seine Größe für das Judentum in Anspruch zu nehmen. Sieht man also von der Tatsache ab, daß Spinoza als Jude geboren und erzogen worden ist, aus der sich vielleicht nicht allzu viel schließen läßt, und begnügt man sich außerdem nicht mit unbestimmten Vermutungen über die jüdische Geistesart Spinozas, will man also klar und deutlich wissen, wo denn bei Spinoza das Judentum steckt, d. h. welche maßgebenden Gedanken Spinozas eigentümlich jüdisches Gepräge tragen, so wird man sich mit dem ihnen gebührenden Vertrauen an die Gelehrten wenden, welche die jüdischen Quellen der Lehre Spinozas zu ermitteln versucht haben. Die kritische Betrachtung dessen, was bei diesen Bemühungen herausgekommen ist, führt zu dem Ergebnis: Spinoza steht ohne Zweifel in der stärksten literarischen Abhängigkeit von jüdischen Autoren; er hat ursprünglich die philosophische Tradition nur durch die Vermittlung der jüdischen Philosophie des Mittelalters kennengelernt. Aber was er von dieser Philosophie gelernt hat, das sind Einsichten oder Meinungen, die er ebenso gut aus der nicht jüdischen (islamischen und christlichen) Philosophie des Mittelalters hätte aufnehmen können; es ist das Gemeingut der europäisch-mediterranen Tradition. Und selbst wenn sich einmal herausstellen sollte, daß eine zentrale Lehre Spinozas sich so, wie sie sich bei ihm findet, nur bei dem oder jenem jüdischen Philosophen oder Theologen der Vergangenheit findet, dann bliebe immer noch zu beweisen, daß diese Lehre wirklich eigentümlich jüdisch ist und daß sie nicht ebensogut auch von einem Griechen oder Muslim oder Christen hätte erdacht werden können.

Spinoza übernimmt als »guter Europäer«, der er ist, aus der jüdischen Tradition das gemein-europäische Gedankengut, das sie ihm zuführte - nicht mehr. Damit glauben wir die Frage beantwortet zu haben: ob es dem Juden als Juden zustehe, Spinoza zu verehren. Nicht dem Judentum gehört Spinoza an, sondern der kleinen Schar überlegener Geister, die Nietzsche als die »guten Europäer« bezeichnet hat. Dieser Gemeinschaft gehören alle Philosophen des 17. Jahrhunderts an; aber Spinoza doch in einer besonderen Weise: Spinoza ist nicht Jude geblieben, während Descartes, Hobbes und Leibniz Christen geblieben sind. Es geschieht also nicht in Spinozas Sinn, daß er in das Pantheon der jüdischen Nation aufgenommen wird. Unter diesen Umständen scheint es uns ein elementares Gebot der jüdischen Selbstachtung zu sein, daß wir Juden endlich wieder darauf verzichten, Spinoza für uns in Anspruch zu nehmen. Damit liefern wir ihn ja keineswegs unseren Feinden aus, sondern belassen wir ihn jener fernen und fremden Gemeinschaft von »Neutralen«, als die man mit keinem geringen Recht die Gemeinschaft der »guten Europäer« bezeichnen darf. Dies zu tun, gebietet außerdem die Achtung, die wir Spinoza auch dann schulden, wenn wir ihm keine Verehrung schulden: die Achtung vor Spinoza verlangt, daß wir seinen letzten Willen ernstnehmen; und sein letzter Wille war die auf dem Bruch mit dem Judentum beruhende Neutralität gegenüber der jüdischen Nation.

Aber hat Spinoza denn ein Testament hinterlassen, aus dem dieser sein Wille unzweideutig hervorgeht? Ist denn in seinem Testament überhaupt von der jüdischen Nation die Rede? Man braucht dieses Testament nicht in schwer zugänglichen Archiven zu suchen; man findet es gegen Ende des 3. Kapitels des theologisch-politischen Traktats.

Spinoza sagt: »Wenn die Grundlagen der jüdischen Religion die Gemüter der Juden nicht weibisch machten, so würde ich unbedingt glauben, daß sie (die Juden) irgendwann einmal bei gegebener Gelegenheit, da die menschlichen Angelegenheiten ja wandelbar sind, ihr Reich wiederum errichten werden, und daß Gott sie von neuem erwählen wird.« Wenn wir absehen von der Bemerkung über die erneute göttliche Erwählung der Juden, die im Munde Spinozas nicht mehr als eine leere Redensart ist, so bleibt als seine Meinung, als sein »politisches Testament« die neutrale Erwägung der Möglichkeitsbedingung für die Wiederherstellung des jüdischen Staates übrig. Diese Möglichkeitsbedingung ist, daß die jüdische Religion ihre Macht über die Gemüter der Juden verliert; denn nach Spinoza führt diese Religion zur Verweichlichung der Gesinnung. Daß sich in weichlicher Gesinnung kein Staat errichten läßt, bedarf keines Beweises. Aber äußerst fragwürdig, ja eigentlich unverständlich ist Spinozas Behauptung: die jüdische Religion verweichliche die Gemüter. Hat Spinoza denn ganz vergessen, daß diese Religion den Opfern der Inquisition die Kraft zum Ertragen der äußersten Leiden gegeben hat? Nein - Spinoza hat diese Tatsache nicht vergessen, wir wissen das aus seinen Briefen ganz genau; er war nur der Meinung, daß die Stärke im Ertragen von Leiden nicht diejenige Stärke ist, deren man zur Errichtung und Erhaltung eines Staates bedarf, nämlich nicht die Stärke des Befehlens, ohne welche keine Gesellschaft bestehen kann. Und wie sein Lehrer Machiavelli das Christentum für den Verfall der Römertugend verantwortlich macht, so macht Spinoza das Judentum für die Unmöglichkeit einer Wiederherstellung des jüdischen Staates verantwortlich.

Es wäre bedenklich, aus der angeführten Äußerung Spinozas zu folgern: Spinoza sei also der Vater des politischen Zionismus. Es wäre nicht so sehr darum bedenklich, weil es, wie jedermann weiß, auch einen orthodoxen bzw. konservativen politischen Zionismus gibt, als darum, weil Spinoza die Wiederherstellung des jüdischen Staates gar nicht – wie auf Grund verwandter Voraussetzungen sein Zeitgenosse Isaac de la Peyrere - wünscht oder fordert, sondern nur diskutiert: er stellt es gleichsam von der Höhe seiner philosophischen Neutralität herab den Juden anheim, sich von ihrer Religion frei zu machen und sich so die Möglichkeit zu verschaffen, ihren Staat wieder aufzurichten.

Die Bedenklichkeit dieses Rates - hier ist die Stelle, an der man daran erinnern muß, daß Spinoza sich die Ehrenrettung Bileams angelegen sein läßt! - wird klar, wenn man den Zusammenhang berücksichtigt, in dem Spinoza ihn vorbringt. Dieser Zusammenhang ist die Bestreitung der Lehre von der Auserwähltheit der jüdischen Nation, genauer die Bestreitung des Beweises für die Auserwähltheit, den man in der Tatsache findet, daß sich die jüdische Nation, und keine andere, trotz des Verlustes ihres Staates, über die ganz Erde hin zerstreut, erhalten hat. Diese Tatsache ist nach Spinoza kein Wunder, sondern die natürliche Folge vor allem - der Riten, welche die jüdische Nation von den übrigen Völkern abgesondert haben, und sie dadurch bisher erhalten haben und für immer erhalten werden. Mit anderen Worten: die jüdische Nation verdankt ihre bisherige und zukünftige Erhaltung ihrem Gesetz, also ihrer Religion; und diese Religion soll sie preisgeben, um ihren Staat zu errichten, den sie nach dem Gesagten doch jedenfalls nicht um ihrer Erhaltung willen braucht? Der Widerspruch ist nur scheinbar; er läßt sich als scheinbar erweisen, auch wenn man ganz davon absieht, daß Spinoza wohl noch aus einem anderen Grund als dem Interesse an der Erhaltung der Nation den Juden die Errichtung ihres Staates hat empfehlen oder wünschen können. Spinoza unterscheidet offensichtlich zwischen den »Riten« (den »Formen«, wie sie heute oft genannt werden) und den »Grundlagen der Religion«: diese sind seinem Rat zu folge zu verwerfen, jene aber beizubehalten. Die Grundlagen der Religion – das ist jener Geist des Gesetzes, der die politische Wiederherstellung unmöglich macht. Von diesem Geiste befreit, wird das Gesetz nicht nur die politische Wiederherstellung nicht beeinträchtigen, sondern den Bestand der nunmehr wieder politisch werdenden Nation weiter verbürgen. Das Gesetz als nationales Erhaltungsmittel oder als nationale Lebensform - wer kennt diese Ansicht vom Judentum nicht! Und ist ihr Spinoza nicht erstaunlich nahegekommen, so nahe, wie es in dem »unhistorischen« 17. Jahrhundert nur irgend möglich war? Nur mit dem Unterschied freilich, daß er noch in dem Geist des Gesetzes ein Hemmnis für die Politisierung der jüdischen Nation erblickt hat; nur mit dem weiteren Unterschied freilich, den man ebenfalls nicht ganz übersehen sollte, daß er diese Ansicht nicht als Jude, sondern als Neutraler geäußert, und nicht einmal geäußert, sondern nur so eben hingeworfen hat.

Diese Bewandtnis also hätte es mit Spinozas Testament? Nicht so, nicht mit verdeckten Worten und mit mattem Herzen laßt uns von Spinoza Abschied nehmen, wenn wir denn von ihm als einem solchen,der einen »menschlich unbegreiflichen Verrat« (Cohen) an unsererNation auf dem Gewissen hat, Abschied nehmen müssen. Einen Augenblick lang wenigstens wollen wir von den populären Prinzipien absehen, kraft deren man Spinoza, sei es zu verdammen, sei es heiligzusprechen sich veranlaßt gesehen hat. Genug, daß niemand ihn popularisieren, in kleine Münze umwandeln, daß niemand ihn »kleinkriegen« kann. Und dann fragen wir noch, ob wir ihm Verehrung schulden? Spinoza wird verehrt werden, solange es Menschen gibt, welche die Inschrift seines Siegelrings (»caute«) zu würdigen wissen, oder, um es deutsch zu sagen, solange es Menschen gibt, die wissen, was damit gemeint ist, wenn man sagt: Unabhängigkeit.

 
 
 

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