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zondag 17 maart 2019

Johann Conrad Dippel (1673-1734) was deze Freygeist een heimelijke aanhanger van #Spinoza?


Het vorige blog over Van Stockum en diens Openbare les, waarin ook Dippel voorkwam, werd aanleiding om wat meer over deze Dippel te weten te komen.
Johann C. Dippel was een Duitse piëtistische theoloog, alchemist, natuurkundige en arts. In dit en een volgend blog wil ik het over hem te hebben. Was hij aangestoken door Spinoza? Opmerkelijk vind ik het dat Jonathan Israel in geen van zijn drie boeken over de Radikale Velichting ook maar iets over Johan Dippel heeft – wat een extra motief vormt om eens enige blogs aan deze Freygeist te wijden.

Ook al is Stephan Goldschmidt in zijn Johann Konrad Dippel (1673-1734): seine radikalpietistische Theologie und ihre Entstehung [2001 op p. 12, noot 4] van mening dat “Die Arbeiten, die Dippel als von Spinoza beeinflusst beschrieben haben (MAX GRUNWALD, Spinoza in Deutschland. 69f.; JACOB FREUDENTHAL/CARL GEBHARDT, Spinoza. Leben und Lehre, Teil 2, 224f.; GERHARD ALEXANDER, Spinoza und Dippel; STEFAN WINKLE, Die heimlichen Spinozisten in Altona. 19-27), sind methodisch unzureichend[.],” neem ik hier uit het laatst genoemde werk de betreffende paragrafen over Dippel over - zonder referenties, waarvoor ik naar het boek verwijs. We krijgen hiermee m.i. een redelijk duidelijk beeld van deze Dippel. Later bekijk ik ook wat Max Grunwald over Dippel schreef. Nu eerst
Stefan Winkle, Die heimlichen Spinozisten in Altona und der Spinozastreit. Hamburg: Verein für Hamburgische Geschichte, 1988. - VII, 136 : Ill. – [Beiträge zur Geschichte Hamburgs, #34] - 136 pages [PDF werd naar hier gebracht]



Johann Conrad Dippel (1673-1734) hat an den Universitäten Wittenberg, Straßburg und Gießen vor allem Theologie studiert. Er »war einer der gelehrtesten Männer seiner Zeit«, beherrschte die antiken Philosophen ebenso gut wie die Chemie (Alchimie) und wollte ursprünglich Universitätsprofessor werden, was jedoch an seiner »polemisch-satirisch veranlagten Wesensart« scheiterte. 1697 wurde er durch seine Bekanntschaft mit Arnold zum radikalen Pietisten. Damals prägte er das Stichwort vom »protestantischen Papstthum der Orthodoxie«. Eine seiner ersten Schriften führte den Titel »Papismus protestantium vapulans« (d.h. »Gestäuptes Papsttum der Protestanten«) 1698. Da ihm neben Christus der umfassend gebildete Demokrit von Abdera, der Begründer der antiken Atomistik, als Vorbild vorschwebte, nannte er sich in seinen Schriften kennzeichnenderweise Christianus Democritus.

Als »alchimistisch-interessierter Kopf« geriet Dippel bald in den Ruf eines Goldmachers, ähnlich wie sein Zeitgenosse Böttger. Als er 1704 nach Berlin kam, wurde er aus diesem Grunde besonders von dem Hofmarschall Graf August von Wittgenstein gefördert. In dessen Auftrag überführte er auch den Alchimisten Graf Caetano, der versprochen hatte, die leeren Kassen des verschwenderischen Preußenkönigs mit Gold zu füllen. Er selbst entdeckte zwar mit seinen Destillierkünsten kein Gold, dafür aber zusammen mit dem Fabrikanten Diesbach einen wasser- und alkoholunlöslichen Farbstoff; das Berlinerblau. Dieser Farbstoff hat u. a. in der Buntpapierfabrikation, im Buchdruck und auch in der Kattun-Druckerei und -Färberei, besonders bei der Blaufärbung der Uniformröcke und Dreispitze des stehenden Heeres, eine große Rolle gespielt. [21]

Kurz nach dieser Entdeckung trat Dippel schriftlich mit einem Sektierer, Öliger Pauli, in Verbindung, der nach längerem Aufenthalt in Amsterdam 1704 in Altona eine »apostolische Gemeinde von Juden und Christen« errichten wollte, weshalb er 1705 nicht nur aus dieser sonst so toleranten Stadt, sondern auch aus dem benachbarten Hamburg ausgewiesen wurde. Pauli wollte in einer exegetisch-philosophischen Frage von Dippel erfahren, wie denn die Worte Christi am Kreuz: »Eli. Eli, lama asabthani« (Matth. 27, 46) recht auszulegen seien. Pauli versuchte den Stoßseufzer Christi nicht als Ausdruck seiner völligen Verlassenheit, sondern seiner Glorifizierung zu deuten (»Mein Gott, wie hast Du mich verherrlicht!«), während Dippel darüber entgegengesetzt urteilte. Mit dem christlichen Grunddogma vom stellvertretenden Leiden Christi wußte Dippel nichts anzufangen. Gott sei reine Liebe und brauche nicht durch ein Opfer, auch nicht durch das Opfer Christi, versöhnt zu werden. Bald danach geriet Dippel in einen theologischen Streit mit dem Generalsuperintendenten von Schwedisch-Pommern, Johann Friedrich Mayer, der zuvor Hauptpastor an St. Jacobi in Hamburg war. Auf ein antipietistisches Pamphlet Mayers antwortete Dippel prompt mit einer sarkastischen Streitschrift: »Unparteyische Gedanken über einen sogenannten Bericht von Pietisten« (1706). Die Frömmigkeit der unduldsamen Orthodoxie kennzeichnete Dippel als Zwang; darum lobe auch Mayer an dem Schwedenkönig Karl XIL »dessen > Religions-Zwingen < [im Sinne von >cuius regio, eius religio <] als göttliche tügend«. Die Orthodoxie wisse nicht, was Religionstoleranz sei, denn an die Stelle der christlichen Nächstenliebe habe sie »Brutalität und Illegalität« gesetzt. Da der Schwedenkönig daraufhin seine Einkerkerung bei der preußischen Regierung beantragte, mußte Dippel 1707 Hals über Kopf Berlin verlassen. Als persona non grata wurde Dippel von Schwedens Erzfeind Dänemark mit offenen Armen aufgenonmien und noch im gleichen Jahr zum dänischen Kanzleirat mit Sitz in Altona ernannt. Auch hier knüpfte man an seinen Aufenthalt die Erwartung, es könnte ihm die Herstellung von Gold oder anderen wichtigen Erfindungen gelingen.

Doch schon bald danach begab sich Dippel nach Holland und widmete sich in Leyden dem Medizinstudium. 1711 empfahl er in seiner Dissertation »De vitae animalis morbo et medicina« eine andere nach seinem Namen bezeichnete Erfindung, das sogenannte »Dippelsche Oel«, als Heilmittel gegen Wechselfieber. Dieses Öl spielte lange Zeit in der Pharmazie auch als antihysterisches, krampfstillendes und wurmwidriges Mittel eine Rolle.

Nachdem der schwedische General Stenbock im Januar 1713 Altona in Schutt und Asche gelegt hatte, ernannte Friedrich IV. noch im gleichen Jahr Graf Christian Detlev von Reventlow (1671-1738) zum Oberpräsidenten von Altona mit diktatorischen Vollmachten und beauftragte ihn zugleich mit dem Wiederaufbau der für Dänemark so wichtigen Grenzstadt (»vor den Thoren Hamburgs«). Bald danach (1714) kam Dippel auf Einladung von Reventlow, der sowohl an seinen alchimistischen als auch [22] ärztlichen Künsten persönlich interessiert war, zum zweiten Mal nach Altona. Er wurde zunächst im Palais des königlichen Statthalters untergebracht, um ihm im Notfall sofort ärztlich helfen zu können, hatte dabei aber das ungute Gefühl, er sollte bei seinen alchimistischen Versuchen dauernd überwacht werden. Auch sonst dürfte Dippel mit seiner asketischen Lebensweise an dem Treiben im prunkvollen Palais so manches nicht gefallen haben. Nach einer gewissen Zeit setzte er es durch, in der Stadt unter seinesgleichen wohnen zu dürfen.

In der »Wüsteney der Unduldsamkeit« gab es damals in einer Welt von Glaubensspaltung nur wenige Oasen, wo Andersdenkende so großzügig geduldet wurden wie in Altona. Nicht umsonst zeigte der kleine, vom dänischen König 1664 zur Stadt deklarierte und weder durch Stadtmauern noch durch Zunftzwang eingeengte Ort in seinem Wappen - im Gegensatz zu dem benachbarten Hamburg - ein offenes Tor. Mit dieser Offenheit wollte man gedeihen und wuchs zugleich zum nachbarlichen Ärgernis heran. In Altona, dem ersten Freihafen Nordeuropas, wo es noch keine Zünfte mit alten, unerbittlichen Traditionen gab, war man bereit, Fremden, auch solchen, die weder Vermögen noch Beziehungen hatten, aber durch Geschicklichkeit »dem Gemeinwesen nützlich sein konnten«, Zuflucht, Schutz, Arbeit und Handelsmöglichkeiten zu gewähren. So siedelten sich Niederländer, Juden, Hugenotten, Mennoniten, Quäker und andere, die man wegen ihrer Bekenntnisse verfolgt hatte, in Altona an.

Unter den vielen Sektierern konnte Dippel hier zunächst seine Ruhe finden, obwohl er unter Spinozas Einfluß die Heilige Schrift als ein menschliches Werk betrachtete und den äußerlichen Gottesdienst, insbesondere die Sakramente (Taufe und Abendmahl), die nicht von Christus stammten, sondern von den Menschen eingesetzt wurden, als überflüssig ablehnte, was zu jener Zeit als eine Ungeheuerlichkeit sondergleichen empfunden wurde. In einem Brief an Craatz schreibt Dippel:

»Erasmus Rotterdamus spricht, wenn er beym Platone das Leben des Socrates lese, so könne er sich nicht enthalten auszurufen: » O Sancte Socrate, ora pro nobis! «...Er hat geglaubt, daß würcklich Heilige und Fromme Gott wohlgefällige Leute unter den Heyden gewesen ... Das einzige Büchlein, das wir noch von Mercurii Trismegisti Schriften übrig haben,  welches voller göttlicher und erleuchteter Pensées ist und mit dem besten Buch der Heiligen Schrift meines Erachtens die Wagschale hält, kan uns genug zeigen, daß Gott nicht nur der Juden, sondern auch der Heyden Gott gewesen und daß seine Liebe und seeligmachende Gnade an keine Secte gebunden. Was von Platone, Epicteto und Apolonico Thyano zu lesen, überführt uns ebenfalls, daß sie mit Gott und Christo nach dem Geist Gemeinschaft gehabt ...«

Von Dippels »Freygeisterey« war in der Nachbarstadt ein junger Hamburger namens Hermann Samuel Reimarus (1694-1768) nicht unberührt geblieben. Von ihm ist überliefert, daß er schon in früher Jugend vom Katechismus beunruhigt wurde: durch die Dreieinigkeitslehre, durch die Ewigkeit der Höllenstrafen und [23] auf Spinoza und auf die englischen Deisten hingewiesen worden sein. Doch von seinen Zweifeln ließ er die Umwelt nichts merken.

Dippel schwebte inzwischen immer deutlicher eine völlig unkirchliche »pietistische Freygeisterey« als Ziel vor. In der Programmschrift »Ein Hirt und eine Herde« verwarf er jeden dogmatischen und jeden staatlichen Zwang, wollte nicht einmal die Bibel mehr als Grundlage der Einigung aller Bekenntnisse ansehen, sondern die Einigkeit zwischen Christen, Juden, Heiden, Türken auf die Moral allein gründen und jedem Staatsbürger gestatten, Gott auf seine eigene Weise zu dienen. Mit seinen undogmatischen Ansichten und seiner für jene Zeit ungewöhnlichen religiösen Toleranz war Dippel für die Orthodoxen eine permanente Provokation, besonders im benachbarten Hamburg, wo in den protestantischen Kirchen seit jeher im Bußtagsgebet die Worte aus Psalm 79,6 zitiert wurden;

»Schütte Deinen Grimm auf die Heiden und auf die Königreiche, die Deinen Namen nicht anrufen!«.

In Altona wohnte Dippel vorübergehend bei dem Prediger der Dümpeler-Sekte Jacob Denner, der von Beruf Blaufärber war. Der Entdecker des Berlinerblau interessierte sich jedoch bei seinem Hauswirt weniger für das Blaufarben als für die Schwierigkeiten, denen diese kleine Sekte von seiten der Orthodoxen ausgesetzt war. Vertraten doch die »Untertaucher« (holländisch »Dompelaers«) die Auffassung, daß die Taufe, wenn sie rechtmäßig sein sollte, nicht durch eine bloße Übergießung, sondern durch ein völliges Untertauchen des ganzen Leibes unters Wasser geschehen kennen, die sich ebenfalls von den Mennoniten abgespalten hatte; die der Separatisten. Sie verwarfen unter anderem die Kindertaufe und zogen sich dadurch wiederholt den Groll der Lutheraner zu. In seinen »Historischen Kirchen-Nachrichten von der Stadt Altona ...« berichtet Bolten, wie der herrschsüchtige Probst Fleischer im Sommer 1718 die Kinder eines Sektenanhängers, »welche selbiger nicht taufen lassen wollte, durch Zwangsmittel zur Dreifaltigkeits-Kirche bringen ließ, wo er die Taufhandlung an ihnen vollzog«. Und weiter hieß es im Bericht; »Dieses bewog den bekannten Joh. Konrad Dippel, ihn [d.h. Probst Fleischer] in einer kleinen anonymen Spottschrift bitter anzugreifen. Allein Fleischer berichtete alles nach Hofe.«. In der anonymen Spottschrift »Glaubens-Bekänntnis. Von der Tauff.« (1718) legte Dippel in Anbetracht der gewalttätigen Taufpraxis mit ätzendem Sarkasmus seine Ausführungen dem Scharfrichter in den Mund, der als solcher hofft, »auch bald unter die Sakramentsdiener mit aufgenommen zu werden«.

Vorher hatte Dippel in die theologische Kontroverse Dassow-Muhlius eingegriffen. Theodor Dassow, der orthodoxe Generalsuperintendent im königlichen Anteil, warnte in der Schrift »Fratrum alloquium« (1713) die Geistlichen seines Sprengels vor dem »Sauerteig des Pietismus«. Sein pietistischer Kollege Heinrich Muhlius, in glei- [24] eher Funktion im herzoglich gottorpischen Anteil und zugleich Theologie-Professor an der Universität Kiel, verteidigte dagegen den Spenerschen Pietismus und dessen Reformbestrebungen in der Schrift »Fraterna Admonitio« (1716). Dippel war der Streit ein willkommener Anlaß, um erneut die »geistblinde« Orthodoxie zu attackieren. Unter dem Pseudonym »Cordatus Libertinus« (»beherzt« und »unabhängig«) schrieb er 1717 seine »Unparteyischen Gedanken« zur Kontroverse zwischen Dassow und Muhlius.

Die Schwierigkeiten ließen auch nicht lange auf sich warten. Der ewig Gehetzte und ruhelose Zweifler, den die Mächtigen als Goldmacher und Arzt zu nutzen gedachten, um mit seiner Hilfe ihre leeren Kassen aufzufüllen und ihre meist durch Genußsucht und Ausschweifung erworbenen Leiden zu kurieren, bekam auch hier sehr bald Ärger nicht nur mit der Orthodoxie, sondern auch mit der Obrigkeit, da er nicht bereit war, aus seiner »wahren Gesinnung eine Mördergrube« zu machen, und Ungerechtigkeiten, auch wenn sie von höchster Stelle begangen wurden, unerschrocken verurteilte. So beschwerte er sich sogar über Ungerechtigkeiten des eigenmächtigen Altonaer Oberpräsidenten in Kopenhagen, obwohl er wußte, daß Reventlow mit dem König verschwägert war. In seiner Waghalsigkeit scheute er sich nicht, auf die Machenschaften der Frau des königlichen Statthalters Reventlow hinzuweisen, die überall Skandale zu verschleiern versuchte. Er nannte sie »ein erboßtes Weib«, das unrechtmäßige Vorkommnisse der Administration deckt und im Einvernehmen nüt den Ratsherren »die gantze Maschine dirigirt«. In mehreren Schreiben an den König wie an dessen Geheimrat J. G. Holstein versuchte er, »auf die grausamen und enormen Proceduren hinzuweisen, welche jetzt in Altona im Schwange gehen, mit solcher Injury und Imprudence, als ob kein Gott im Himmel und kein König mehr in Dennemark wäre«.

Vor allen Dingen wollte hier Dippel gewisse Vorfälle in der Rechtspflege zur Sprache bringen, wie Rechtsbeugung, Torturen »auf Arth der spanisch Inquisition«, Zeugenbeeinflussung, Begünstigung, Nötigung u. a. m. In einem Schreiben vom 30. März 1719 an den Geheimrat des Königs, Holstein, erklärt er:

»Der Graf, nein vielmehr dessen Gemahlin, sind Ankläger und Richter in Ihrer eigenen Sache, die Rathsherren dienen ihnen als Peiniger und Nachrichter zur Unterdrückung ... ehrlicher und ganz unschuldiger Leuthe, die wider ihr besseres Wissen und Gewissen auf nüch und andere ehrliche Leuthe Facta bekennen sollen, wovon keiner unter uns geträumt ...«

»Man wirft auf bloße Praesumption [Vermutung] ehrliche Leuthe ins Geföngnis, man tractirt sie als überzeugte Criminelle, man läßt niemand zu ihnen, entzieht Ihnen gehörige Nahrung und Warthung ... und es fehlet nichts mehr, daß man sie dem Hencker auf die Tortur übergebe ...«

Es handelt sich hier um das zeitlose Phänomen von Willkür und Korruption, was besonders deutlich aus einem an den König gerichteten Rechtfertigungsschreiben vom [25] 26. Mai 1719 zu ersehen ist, in dem Reventlow auf die Beschuldigungen Dippels Punkt für Punkt eingeht. Hier nur der Anfang des Schreibens;

»... 1. Es habe meine Frau von dem Juden Caseres einiges Seidenzeug die Elle für 20 ß (wofür er doch in Holland 24 ß gegeben) und eine Parthy Porcellain für 50 Rtr (welches ihm wohl 300 Rtr in Holland gekostet) abgekauft und ihm, wie er solches nennet, damit das seinige geraubt.

2. Es ist fälschlich vorgegeben, daß meine Frau durch Justiz-Mäcklers bey denen Parteyen umb Gabe [Geschenke] sollicitiren [Rechtshilfe ersuchen] läßt.

3. daß die Gräfin [d.h. seine Frau] sowohl bey der Sache wider Caseres als wider Lieben des Ober-Praesidenten Stelle vertreten soll

4. daß der Magistrat von denen Geldern, welche wegen Reinigung der Straßen jährlich gesamlet werden, alle Jahre 300 biß 400 Rtr behalten und unter sich getheilet, welches mir zu einer schweren Verantwortung gereichen würde, wenn ich dabey conniviret [Nachsicht geübt] hätte.

5. Es ist fälschlich vorgegeben, als hätte mir des Lieben Sohn am Sonnabend vor dem Fest auf 20000 Rtr Caution für seinen Vater offerirt [angeboten].

6. daß eine infame und wegen Diebes-Hehlerey überführte Jüdin den Staupenschlag mit Geld und einem consilio abeundi abgekauft hätte ...« usw.

(Abkürzungen: ß = Schilling, Rtr = Reichstaler)

Als Dippel erfuhr, daß man ihn »auf höchsten Befehl« verhaften wolle, floh er im letzten Augenblick in das benachbarte Hamburg, wurde jedoch von der freien Stadt, deren Orthodoxie von jeher schlecht auf ihn zu sprechen war, an die Dänen ausgeliefert. Aus dem Ankläger wurde der Angeklagte. Die Reaktion seiner Feinde, die auch heute noch aus der Fülle der Akten, der persönlichen wie der offiziellen Schreiben, der Protokolle, Verhöre und Zeugenaussagen erregend spürbar wird, sollte sich für Dippel in einer unheilvollen Weise auswirken. Indem man die strenge Bestrafung Dippels forderte, schien auch hier der Angriff die beste Verteidigung gegen die von ihm erhobenen Vorwürfe zu sein. Vor allem versuchte man, die Anklage auf Unterschlagung öffentlicher Gelder im Einvernehmen mit dem Grafen zu entkräften. Dafür sollten besonders die beigefügten Protokolle und Aussagen dienen. Ihre Gleichformigkeit verrät noch heute die bewußte Absicht der Veranstalter, den Mann, der so unbeirrt seine Stimme für das öffentliche Wohl erhob, mundtot zu machen und zu vernichten. Kreuzweise gefesselt und in den scharlachroten Mantel seiner einstigen Würde gehüllt, mußte Dippel nach Verkündigung der Strafe »auf ewiges Gefängnis« auf dem Rathausmarkt von Altona mit ansehen, wie fünf seiner Bücher »auf dem unehrlichen Block« vom Henker verbrannt wurden. Zur Verbüßung seiner lebenslänglichen Strafe wurde er 1719 in der Festung Hanunerhuus auf der Insel Bomholm eingekerkert, wo er erst nach siebenjähriger Haft auf Intervention des Grafen Wittgenstein 1726 wieder die Freiheit erhielt — »ohne mein Gesuch«, wie er mit ungebrochenem Stolz ausdrücklich bemerkt. Die Begnadigung war mit der Auflage verbun[26] den, dänisches Hoheitsgebiet nicht mehr zu betreten. Der auf »ewige Zeiten« aus Dänemark Verbannte begab sich nach Schweden, wo er vorübergehend als königlicher Leibarzt fungierte und sich durch die Begründung gemeinnütziger Anstalten verdient machte. Doch abermals bekam er Streit mit der Orthodoxie, die er zeit seines ganzen unsteten Lebens leidenschaftlich bekämpfte und in dem Titel einer seiner Flugschriften einmal »orcodoxia« genannt hatte, was doch wohl »Glaube des Orkus« (Höllenglauben) heißen sollte.

Auf der Suche nach einem neuen Aufenthaltsort tauchte Dippel im Sommer 1728 in Hamburg auf und veröffentlichte dort in fieberhafter Eile erneut eine theologische Streitschrift: »Vera demonstratio evangelica«. In 153 Thesen verwarf er das Lehrgebäude der Orthodoxie und darüber hinaus jegliches institutionelles Christentum. Gegen dieses Pamphlet setzte der Plöner Theologe Petrus Hansen seine »Achtzig Grundfragen«“'. Seine orthodoxe Überzeugung untermauerte er mit Ansichten des Leibniz-Schülers Wolff unter Anwendung dessen syllogistisch-demonstrativer Methode. In seinen sarkastischen Gegenschriften“ wies Dippel mit Recht darauf hin, »daß die Philosophie der Aufklärung die Orthodoxie notwendigerweise nicht stützen kann, weil sie von schlechthin anderen Voraussetzungen ausgeht, von Voraussetzungen, die letztlich dem Atheismus den Weg bahnen.« In diesem Sinne stellte er summarisch fest, daß Hansen »seinen ohnedem sehr seichten und leichten Lutherischen Religions-Apparat gäntzlich von sich geworffen und den Leibnizischen Atheismus cordicitus angenommen. Denn ein Gott, er seye so ein künstlicher Maschin-Macher als er will, der keinen Einfluß mehr in seyn Geschöpf hat, noch Freyheit in demselben de praesenti zu würcken, was ihm gut deucht, ist kein Gott.«

Während Dippel erneut die Flucht ergriff, wurde Hermann Samuel Reimarus fast zur gleichen Zeit (1728) als Professor für orientalische Sprachen an das Johanneum, das Gelehrtengymnasium seiner Heimatstadt, berufen. Es war ihm gelungen, seinen einstigen Kontakt mit Dippel ebenso zu vertuschen, wie das einst Leibniz bezüglich Spinoza getan hatte. Inzwischen begann Reimarus insgeheim an einem bibelkritischen Werk zu arbeiten, das er diplomatisch »Apologie oder Schutzschrift der vernünftigen Verehrer Gottes« nannte. Da er in Anbetracht des Schicksals von Dippel beim Bekanntwerden seiner wahren Gesinnung den Verlust seines Amtes und die Vernichtung seiner bürgerlichen Existenz befürchten mußte, verbarg er sein Manuskript im Schreibtisch und gewährte nur seinen engsten Freunden Einblick.

Der inzwischen von Stadt zu Stadt irrende Dippel fand 1729 in Berleburg eine endgültige Zuflucht, wo man unter der Schirmherrschaft des pietistischen Grafen Sayn-Wittgenstein seit 1726 an einer nach Berleburg benannten Bibelübersetzung arbeitete. Dort lernte er auch den Pietisten Dr. Johann Samuel Carl kennen, der seit 1728 Leibarzt des Grafen Wittgenstein war. Er wurde sein anregendster Gesprächspartner, mit dem ihn nicht nur medizinische, chemische und theologisch-philosophische Interessen verknüpften, sondern auch die gemeinsame Ablehnung der [27] Orthodoxie. Daher vertraute er ihm auch die Zusammensetzung seines Heilöls an. Inzwischen wurde es um Dippel immer einsamer. Sogar mit Carl kam es zu Spannungen. Der Obrigkeit galt er als querulatorischer Aufrührer, den Pietisten als gottloser Aufklärer und den Aufklärern als wunderlicher Kauz, der immer noch die Sprache der Frommen redete. Denn er nannte seine Religion der Zukunft immer noch gern Christentum; was er aber vortrug, das war »das Licht der Vernunft«. Einmal setzte Dippel den »inneren Christus« sogar durch das Wörtchen »oder« dem »Gewissen« und der »Vernunft« ausdrücklich gleich. Als Dippel 1734 in der Karfreitagsnacht ganz plötzlich auf Schloß Wittgenstein starb, vermuteten seine Freunde, er sei mit Antimon vergiftet worden, seine Feinde dagegen erzählten, der Teufel habe ihn wie einst »Doktor Faustus« durch den Kamin geholt.

*
Sechzehn Jahre nach Dippels Tod hatte Reimarus, der seine frühere Beziehung zu dem Verstorbenen peinlichst verschwieg, seine »Apologie« in großen Zügen abgeschlossen. Da gestaltete der Senior Friedrich Wagner, der Hauptpastor seiner Heimatstadt, seine Büßpredigten nach dem Brand der Michaeliskirche im Jahre 1750 zu »wahren Gerichtsorgien gegen das gottlose Sodom und Gomorrha Hamburg, in Sonderheit gegen die frechen und unbändigen Freygeister«, wobei er immer wieder auf Dippel hinwies. Reimarus dürfte dabei hie und da den Kopf eingezogen haben, hatte doch Dippel so manche Stelle seiner geheimgehaltenen bibelkritischen »Apologie« tief beeinflußt. Es wirkt wie eine Ironie des Schicksals, daß 1760 anläßlich des Todes von Senior Wagner, dem Vorgänger von Hauptpastor Goeze, ausgerechnet Reimarus dazu bestimmt wurde, den offiziellen Nachruf zu verfassen, in dem er den Kampf des Verstorbenen gegen den »Freygeist« Dippel loben mußte, jenen Dippel, dem er selbst so manche Anregung verdankte, ohne daß es jemand vom breiten Publikum geahnt hätte.

 

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