Het boekje van Karel D’huyvetters, God is groter. Het testament van
Spinoza, dat ik in het blog van 11 juli2019 zeer kritisch besprak, werd voor mij aanleiding om nog eens om te zien
naar het artikel "Das Testament Spinozas” van Leo Strauss.
“Nadat hij in 1930 zijn dissertatie Die Religionskritik Spinozas
had verdedigd en gepubliceerd, schreef Leo Strauss (1899 - 1973) in de Bayerische Israelische Gemeindezeitung
in 1932, het jaar waarin overal in Europa, ook in Rusland, en in Amerika het
feit van het 300e geboortejaar van Spinoza werd gevierd, maar vooral
omdat veel joden Spinoza als ‘hun grootste jood’ als het ware naar zich toe
haalden, “Das Testament Spinozas,” waarin hij redelijk sereen zijn bezwaar
verwoordde tegen deze joodse claim.” [Aldus schreef ik in het blog van 14-06-2013] In dat blog bracht ik – daar ik nog
geen toegang had tot de Duitse tekst - de Engelse vertaling van Leo Strauss, "Das Testament Spinozas," in: Bayerische Israelitische. Gemeindezeitung 8, no. 21 (1 November 1932): 322-26.
Het nog steeds
interessante artikel is heruitgegeven in:
Leo Strauss, Die Religionskritik Spinozas und zugehörige
Schriften [Gesammelte Schriften / Leo Strauss, Band 1]. Herausgegeben von
Heinrich Meier. Gefördert durch die Carl Friedrich von Siemens Stiftung. Stuttgart,
Weimar: Verlag J. B. Metzler, 1996, S. 415-422Daaruit neem ik het hieronder over
In het Vorwort des
Herausgebers lezen we over “Das Testament
Spinozas, ein Artikel, der zur 300. Wiederkehr von Spinozas Geburtstag im
November 1932 erschien und bei dem es sich wahrscheinlich um die letzte
Publikation handelt, die Strauss in Deutschland geschrieben und abgeschlossen
hat.” [Vorwort des Herausgebers, Seite X]
Voor de Franse en
later de Italiaanse vertalingen van teksten van Strauss over Spinoza, werd de
titel van zijn 1932 artikel gebruikt. Wat betreft de volgende uitgaven is de titel dus
niet van Strauss zelf.
Leo Strauss, Le Testament de Spinoza. Ecrits de Leo
Strauss sur Spinoza et le judaïsme. Paris: Cerf (18 février 1991), reprint
2004 [cf. Amazon]
Leo Strauss, Il
testamento di Spinoza. Mimesis Edizioni, 2016
Das Testament Spinozas
(1932)
Die
Stadien, welche Europa und mithin das Judentum in der Beurteilung Spinozas
durchlaufen hat, können summarisch folgendermaßen charakterisiert werden: auf
die Verdammung (den Bannspruch der Amsterdamer Gemeinde) folgte die Rettung
(Mendelssohn), auf diese die Heiligsprechung (Heine, Heß) und auf diese endlich
die Neutralität (Joël, Freudenthal). Es versteht sich, daß es in jeder dieser
Epochen Männer gegeben hat, die nicht wie ihre Epoche dachten. Namentlich sei
an Hermann Cohen erinnert, der - im Jahr 1910 - es auszusprechen den Mut fand,
daß Spinoza »mit allem Rechte aus der Gemeinde Israels ausgestoßen werden
(mußte)«.
Die
Neutralität gegenüber Spinoza setzte ein, als man sich zugestehen konnte, daß
die entscheidend mit Hilfe der Metaphysik Spinozas zum Siege geführte »moderne
Weltanschauung« von dieser Metaphysik nicht oder nicht ganz gedeckt wird. Aber
auch in diesem Stadium blieb es im allgemeinen dabei und wurde noch
unterstrichen, daß unter den drei großen westlichen Philosophen des 17.
Jahrhunderts - Descartes, Hobbes und Spinoza - Spinoza der wichtigste, weil der
fortgeschrittenste sei: er allein hatte gewisse Konsequenzen aus der
Grundlegung der modernen Philosophie gezogen, die im 19. Jahrhundert erst ganz
offenbar geworden waren und nunmehr das allgemeine Bewußtsein bestimmten.
Inzwischen
ist es so weit gekommen, daß der Zweifel an der »modernen Weltanschauung« das
allgemeine Bewußtsein bestimmt. Wie immer es mit dem Recht dieses Zweifels
steht - jedenfalls hat er zur Folge, daß die »moderne Weltanschauung« nicht
mehr selbstverständlich ist, daß also ein in ihr Fortgeschrittener nicht schon
um dieser Fortgeschrittenheit willen für sonderlicher Verehrung wert gehalten
wird. Rüttelt der Zweifel an den Grundlagen der »modernen Weltanschauung«, so
verlegt sich das Interesse notwendig von deren Klassiker auf die Männer zurück,
die dieser »Weltanschauung« den Grund gelegt haben - also auf Descartes und
Hobbes. Die Verehrung Spinozas, wenn sie mehr sein soll als Bewunderung seiner
Begabung oder seines Charakters und als Anerkennung seiner geschichtlichen
Wirksamkeit, wenn sie ihm als einem Lehrer gelten soll, muß wenigstens
solange außer Kraft gesetzt werden, bis über das Recht der Grundlegung der
modernen Philosophie entschieden ist.
Wir
fangen also an, über den »Radikalismus« Spinozas anders zu denken als das
abgelaufene Jahrhundert. Es stellt sich nunmehr heraus, daß die kühnen
Neuerungen Spinozas doch nur Folgerungen, nicht aber Grundlegungen waren. Die
Tatsache gewinnt nunmehr an Gewicht, daß Spinoza in der Geschichte der
zentralen Wissenschaften - d. h. in der Geschichte der Naturwissenschaft
einerseits, des Naturrechts andererseits - eine, verglichen mit der Bedeutung
Descartes', Hobbes' und Leibnizens, nur sekundäre Bedeutung hat. Und die
Tatsache, daß Spinoza erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts zu allgemeinerer
Anerkennung gelangt ist, verstehen wir nunmehr auch daraus, daß er erst in dem Augenblick
rezipiert werden konnte, als die »querelle des anciens et des modernes«
innerhalb der Philosophie in der Hauptsache zugunsten der Modernen entschieden
war und es darauf ankam, zum Zweck der Korrektur des modernen Gedankens gewisse
im ersten Anlauf über den Haufen gerannte Positionen der vor-modernen Welt
wiederherzustellen; denn Spinoza, auf der Grundlegung der modernen Philosophie
durch Descartes und Hobbes fußend, hatte in die von ihm schon vorgefundene moderne
Welt das Lebensideal der vor-modernen (antik-mittelalterlichen) Tradition, das
Ideal der (theoretischen) Gotteserkenntnis, herübergerettet.
Die
(jeweilige) Stellung des Judentums zu Spinoza deckt sich mit der (jeweiligen)
Stellung Europas zu Spinoza. Sie deckt sich mit ihr indessen nicht ganz.
Spinoza hatte innerhalb des Judentums des abgelaufenen Jahrhunderts eine
eigentümliche Funktion. Als es galt, die Sprengung der jüdischen Tradition und
den Eintritt der Juden in das moderne Europa zu rechtfertigen, da bot sich
vielleicht keine bessere, gewiß keine bequemere Auskunft dar als die Berufung
auf Spinoza: wer war geeigneter, die Rechtfertigung des modernen Judentums vor
dem Forum der jüdischen Tradition einerseits, vor dem Forum des modernen Europa
andererseits zu übernehmen, als Spinoza, der, wie man fast allgemein anerkannte,
ein Klassiker dieses Europa war, und der, wie man wenigstens zu behaupten nicht
müde wurde, seine Gedanken im Geist des Judentums und mit Mitteln des Judentums
gedacht hatte? Es liegt auf der Hand, daß man in einem Zeitpunkt, in dem das
moderne Europa von Grund auf erschüttert ist, sich nicht mehr vor diesem Europa
um des Judentums willen und vor dem Judentum um dieses Europa willen rechtfertigen
kann, gesetzt, daß man es noch will.
Die
Erschütterung des modernen Europa hatte zur Folge eine Besinnung des Judentums
auf sich selbst. Diese Besinnung führte nicht - nicht immer und nicht ohne
weiteres - eine Veränderung in der Beurteilung Spinozas herbei: Spinoza blieb
auch jetzt noch eine Autorität. Zwar bedurfte man seiner nicht mehr oder schien
man doch seiner nicht mehr zu bedürfen zur Selbstbehauptung gegenüber der
jüdischen Tradition und gegenüber dem modernen Europa; aber man hielt sich für
gebunden, bei dem Auszug aus dem neuen Ägypten die Gebeine des Mannes mitzunehmen,
der in diesem Lande zu königsgleicher Stellung aufgestiegen war, und sie in das
Pantheon der jüdischen Nation zu überführen, die in ihm einen ihrer größten
Söhne verehren müsse. Man handelte ohne Zweifel in gutem Glauben; aber war es
recht, daß man gar nicht nach dem letzten Willen des also Geehrten fragte?
Aber
was geht uns der letzte Wille Spinozas an, wenn darunter sein ausdrücklicher
Wille verstanden wird? Auch Spinoza war an die geschichtlichen Bedingungen,
unter denen er lebte und dachte, gebunden; in seinem Zeitalter mußte er
in Konflikt mit dem Judentum geraten, in einen Konflikt, in dem beide Gegner im
Recht waren: die jüdische Gemeinde, welche die Existenzbedingung des Judentums
in der Zerstreuung oder, wie andere sagen, die jüdische »Form« retten mußte,
und Spinoza, der den Gehalt dieser »Form«, das »unterirdische Judentum«, aus
seiner Erstarrung zu lösen und damit die Wiedergeburt der jüdischen Nation in
die Wege zu leiten berufen war. Man bedurfte mehrerer Jahrhunderte, bis man
Spinozas Kritik am Gesetz geschmeidig genug gemacht hatte, um das Gesetz
anerkennen zu können, ohne an seine Offenbartheit zu glauben. Am Ende dieser
Entwicklung steht ein Geschlecht, freien Geistes genug, um Spinozas Kritik am
Gesetz aufnehmen zu können, und noch freier als er, insofern es über die rohe
Alternative: göttlich oder menschlich?, offenbart oder von Menschen erdacht? Hinaus
ist. Der recht verstandene Spinoza steht nicht nur nicht außerhalb des
Judentums - er gehört ihm vielmehr als einer seiner größten Lehrer an.
Wer
Spinozas Kritik am Gesetz kennt, der weiß, daß diese Kritik ohne die
Grundlegung der modernen Philosophie nicht möglich gewesen wäre. Zwar beruft
sich Spinoza, um die Autorität der Bibel zu erschüttern, auch auf gewisse
Schwierigkeiten des Bibeltextes; aber damit er aus diesen Schwierigkeiten, die
längst vor ihm bekannt waren, die Konsequenz ziehen konnte: also hat Moses die
Thora nicht geschrieben, und die weitere Konsequenz: also ist die Thora nicht
offenbart; also hat die Thora keine Verbindlichkeit, dazu mußte er die
philosophische Kritik am Gesetz voraussetzen, die, wenigstens so wie sie bei
ihm vorliegt, an die Grundlegung der modernen Philosophie gebunden ist. Ist nun
aber diese Grundlegung zweifelhaft geworden, so ist damit auch Spinozas Kritik
am Gesetz zweifelhaft geworden; und damit also auch, ob er als ein Lehrer des
Judentums angesehen werden darf.
Aber
muß denn ein großer Mann, den man verehren will, notwendig ein großer Lehrer
sein? Sollte es nicht beispielsweise auch große und darum verehrungswürdige
Irrlehrer geben? Und wenn dieser große Irrlehrer - hinsichtlich dessen es zudem
ja noch gar nicht feststeht, daß er ein Irrlehrer war - ein Jude ist:
hat die jüdische Nation dann nicht das Recht und die Pflicht, sich seiner stolz
und dankbar zu erinnern?
Spinoza
war Jude. Die Tatsache ist beglaubigt, daß er als Jude geboren und erzogen
worden ist. Aber sollen wir die Namen anderer, Spinoza am Ende ebenbürtiger
Männer nennen, die ebenfalls als Juden geboren und erzogen worden sind, und
deren stolz und dankbar als Jude zu gedenken sich schwerlich ein Jude
untersteht? Wir brauchen diese Namen nicht zu nennen und können doch den Satz
für bewiesen halten, daß die jüdische Herkunft und Erziehung eines großen
Mannes, für sich genommen, kein Recht dazu gibt, seine Größe für das Judentum
in Anspruch zu nehmen. Sieht man also von der Tatsache ab, daß Spinoza als Jude
geboren und erzogen worden ist, aus der sich vielleicht nicht allzu viel
schließen läßt, und begnügt man sich außerdem nicht mit unbestimmten
Vermutungen über die jüdische Geistesart Spinozas, will man also klar und
deutlich wissen, wo denn bei Spinoza das Judentum steckt, d. h. welche
maßgebenden Gedanken Spinozas eigentümlich jüdisches Gepräge tragen, so wird
man sich mit dem ihnen gebührenden Vertrauen an die Gelehrten wenden, welche
die jüdischen Quellen der Lehre Spinozas zu ermitteln versucht haben. Die
kritische Betrachtung dessen, was bei diesen Bemühungen herausgekommen ist,
führt zu dem Ergebnis: Spinoza steht ohne Zweifel in der stärksten literarischen
Abhängigkeit von jüdischen Autoren; er hat ursprünglich die philosophische Tradition
nur durch die Vermittlung der jüdischen Philosophie des Mittelalters
kennengelernt. Aber was er von dieser Philosophie gelernt hat, das sind
Einsichten oder Meinungen, die er ebenso gut aus der nicht jüdischen
(islamischen und christlichen) Philosophie des Mittelalters hätte aufnehmen
können; es ist das Gemeingut der europäisch-mediterranen Tradition. Und selbst
wenn sich einmal herausstellen sollte, daß eine zentrale Lehre Spinozas
sich so, wie sie sich bei ihm findet, nur bei dem oder jenem jüdischen
Philosophen oder Theologen der Vergangenheit findet, dann bliebe immer noch zu beweisen,
daß diese Lehre wirklich eigentümlich jüdisch ist und daß sie nicht ebensogut
auch von einem Griechen oder Muslim oder Christen hätte erdacht werden können.
Spinoza
übernimmt als »guter Europäer«, der er ist, aus der jüdischen Tradition das
gemein-europäische Gedankengut, das sie ihm zuführte - nicht mehr. Damit
glauben wir die Frage beantwortet zu haben: ob es dem Juden als Juden zustehe,
Spinoza zu verehren. Nicht dem Judentum gehört Spinoza an, sondern der kleinen Schar
überlegener Geister, die Nietzsche als die »guten Europäer« bezeichnet hat. Dieser
Gemeinschaft gehören alle Philosophen des 17. Jahrhunderts an; aber
Spinoza doch in einer besonderen Weise: Spinoza ist nicht Jude geblieben,
während Descartes, Hobbes und Leibniz Christen geblieben sind. Es geschieht
also nicht in Spinozas Sinn, daß er in das Pantheon der jüdischen Nation
aufgenommen wird. Unter diesen Umständen scheint es uns ein elementares Gebot
der jüdischen Selbstachtung zu sein, daß wir Juden endlich wieder darauf
verzichten, Spinoza für uns in Anspruch zu nehmen. Damit liefern wir ihn ja
keineswegs unseren Feinden aus, sondern belassen wir ihn jener fernen und
fremden Gemeinschaft von »Neutralen«, als die man mit keinem geringen Recht die
Gemeinschaft der »guten Europäer« bezeichnen darf. Dies zu tun, gebietet
außerdem die Achtung, die wir Spinoza auch dann schulden, wenn wir ihm keine Verehrung
schulden: die Achtung vor Spinoza verlangt, daß wir seinen letzten Willen
ernstnehmen; und sein letzter Wille war die auf dem Bruch mit dem Judentum
beruhende Neutralität gegenüber der jüdischen Nation.
Aber
hat Spinoza denn ein Testament hinterlassen, aus dem dieser sein Wille
unzweideutig hervorgeht? Ist denn in seinem Testament überhaupt von der
jüdischen Nation die Rede? Man braucht dieses Testament nicht in schwer
zugänglichen Archiven zu suchen; man findet es gegen Ende des 3. Kapitels des
theologisch-politischen Traktats.
Spinoza
sagt: »Wenn die Grundlagen der jüdischen Religion die Gemüter der Juden nicht
weibisch machten, so würde ich unbedingt glauben, daß sie (die Juden)
irgendwann einmal bei gegebener Gelegenheit, da die menschlichen
Angelegenheiten ja wandelbar sind, ihr Reich wiederum errichten werden, und daß
Gott sie von neuem erwählen wird.« Wenn wir absehen von der Bemerkung über die
erneute göttliche Erwählung der Juden, die im Munde Spinozas nicht mehr als
eine leere Redensart ist, so bleibt als seine Meinung, als sein »politisches
Testament« die neutrale Erwägung der Möglichkeitsbedingung für die
Wiederherstellung des jüdischen Staates übrig. Diese Möglichkeitsbedingung ist,
daß die jüdische Religion ihre Macht über die Gemüter der Juden verliert; denn
nach Spinoza führt diese Religion zur Verweichlichung der Gesinnung. Daß sich
in weichlicher Gesinnung kein Staat errichten läßt, bedarf keines Beweises.
Aber äußerst fragwürdig, ja eigentlich unverständlich ist Spinozas Behauptung:
die jüdische Religion verweichliche die Gemüter. Hat Spinoza denn ganz
vergessen, daß diese Religion den Opfern der Inquisition die Kraft zum Ertragen
der äußersten Leiden gegeben hat? Nein - Spinoza hat diese Tatsache nicht vergessen,
wir wissen das aus seinen Briefen ganz genau; er war nur der Meinung, daß die
Stärke im Ertragen von Leiden nicht diejenige Stärke ist, deren man zur
Errichtung und Erhaltung eines Staates bedarf, nämlich nicht die Stärke des
Befehlens, ohne welche keine Gesellschaft bestehen kann. Und wie sein Lehrer
Machiavelli das Christentum für den Verfall der Römertugend verantwortlich
macht, so macht Spinoza das Judentum für die Unmöglichkeit einer
Wiederherstellung des jüdischen Staates verantwortlich.
Es
wäre bedenklich, aus der angeführten Äußerung Spinozas zu folgern: Spinoza sei
also der Vater des politischen Zionismus. Es wäre nicht so sehr darum
bedenklich, weil es, wie jedermann weiß, auch einen orthodoxen bzw.
konservativen politischen Zionismus gibt, als darum, weil Spinoza die
Wiederherstellung des jüdischen Staates gar nicht – wie auf Grund verwandter
Voraussetzungen sein Zeitgenosse Isaac de la Peyrere - wünscht oder fordert,
sondern nur diskutiert: er stellt es gleichsam von der Höhe seiner
philosophischen Neutralität herab den Juden anheim, sich von ihrer Religion
frei zu machen und sich so die Möglichkeit zu verschaffen, ihren Staat wieder
aufzurichten.
Die
Bedenklichkeit dieses Rates - hier ist die Stelle, an der man daran erinnern
muß, daß Spinoza sich die Ehrenrettung Bileams angelegen sein läßt! - wird
klar, wenn man den Zusammenhang berücksichtigt, in dem Spinoza ihn vorbringt.
Dieser Zusammenhang ist die Bestreitung der Lehre von der Auserwähltheit der
jüdischen Nation, genauer die Bestreitung des Beweises für die Auserwähltheit,
den man in der Tatsache findet, daß sich die jüdische Nation, und keine andere,
trotz des Verlustes ihres Staates, über die ganz Erde hin zerstreut, erhalten
hat. Diese Tatsache ist nach Spinoza kein Wunder, sondern die natürliche Folge
vor allem - der Riten, welche die jüdische Nation von den übrigen Völkern
abgesondert haben, und sie dadurch bisher erhalten haben und für immer erhalten
werden. Mit anderen Worten: die jüdische Nation verdankt ihre bisherige und
zukünftige Erhaltung ihrem Gesetz, also ihrer Religion; und diese Religion soll
sie preisgeben, um ihren Staat zu errichten, den sie nach dem Gesagten doch
jedenfalls nicht um ihrer Erhaltung willen braucht? Der Widerspruch ist nur
scheinbar; er läßt sich als scheinbar erweisen, auch wenn man ganz davon
absieht, daß Spinoza wohl noch aus einem anderen Grund als dem Interesse an der
Erhaltung der Nation den Juden die Errichtung ihres Staates hat empfehlen oder
wünschen können. Spinoza unterscheidet offensichtlich zwischen den »Riten« (den
»Formen«, wie sie heute oft genannt werden) und den »Grundlagen der Religion«:
diese sind seinem Rat zu folge zu verwerfen, jene aber beizubehalten. Die
Grundlagen der Religion – das ist jener Geist des Gesetzes, der die
politische Wiederherstellung unmöglich macht. Von diesem Geiste befreit, wird
das Gesetz nicht nur die politische Wiederherstellung nicht beeinträchtigen,
sondern den Bestand der nunmehr wieder politisch werdenden Nation weiter
verbürgen. Das Gesetz als nationales Erhaltungsmittel oder als nationale
Lebensform - wer kennt diese Ansicht vom Judentum nicht! Und ist ihr Spinoza
nicht erstaunlich nahegekommen, so nahe, wie es in dem »unhistorischen« 17.
Jahrhundert nur irgend möglich war? Nur mit dem Unterschied freilich, daß er
noch in dem Geist des Gesetzes ein Hemmnis für die Politisierung der jüdischen
Nation erblickt hat; nur mit dem weiteren Unterschied freilich, den man
ebenfalls nicht ganz übersehen sollte, daß er diese Ansicht nicht als Jude,
sondern als Neutraler geäußert, und nicht einmal geäußert, sondern nur so eben
hingeworfen hat.
Diese
Bewandtnis also hätte es mit Spinozas Testament? Nicht so, nicht mit verdeckten
Worten und mit mattem Herzen laßt uns von Spinoza Abschied nehmen, wenn wir
denn von ihm als einem solchen,der einen »menschlich unbegreiflichen Verrat«
(Cohen) an unsererNation auf dem Gewissen hat, Abschied nehmen müssen. Einen
Augenblick lang wenigstens wollen wir von den populären Prinzipien absehen, kraft
deren man Spinoza, sei es zu verdammen, sei es heiligzusprechen sich veranlaßt
gesehen hat. Genug, daß niemand ihn popularisieren, in kleine Münze umwandeln,
daß niemand ihn »kleinkriegen« kann. Und dann fragen wir noch, ob wir ihm
Verehrung schulden? Spinoza wird verehrt werden, solange es Menschen gibt,
welche die Inschrift seines Siegelrings (»caute«) zu würdigen wissen, oder, um
es deutsch zu sagen, solange es Menschen gibt, die wissen, was damit gemeint
ist, wenn man sagt: Unabhängigkeit.
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