Het
vorige blog over Van Stockum en diens Openbare les,
waarin ook Dippel voorkwam, werd aanleiding om wat meer over deze Dippel te
weten te komen.
Johann
C. Dippel was een Duitse piëtistische theoloog, alchemist, natuurkundige en
arts. In dit en een volgend blog wil ik het over hem te hebben. Was hij
aangestoken door Spinoza? Opmerkelijk vind ik het dat Jonathan Israel in
geen van zijn drie boeken over de Radikale Velichting ook maar iets over Johan
Dippel heeft – wat een extra motief vormt om eens enige blogs aan deze Freygeist te wijden.
Ook
al is Stephan Goldschmidt in zijn Johann
Konrad Dippel (1673-1734): seine radikalpietistische Theologie und ihre
Entstehung [2001 op p. 12, noot 4] van mening dat “Die Arbeiten, die Dippel
als von Spinoza beeinflusst beschrieben haben (MAX GRUNWALD, Spinoza in
Deutschland. 69f.; JACOB FREUDENTHAL/CARL GEBHARDT, Spinoza. Leben und Lehre,
Teil 2, 224f.; GERHARD ALEXANDER, Spinoza und Dippel; STEFAN WINKLE, Die
heimlichen Spinozisten in Altona. 19-27), sind methodisch unzureichend[.],” neem
ik hier uit het laatst genoemde werk de betreffende paragrafen over Dippel over
- zonder referenties, waarvoor ik naar het boek verwijs. We krijgen hiermee m.i.
een redelijk duidelijk beeld van deze Dippel. Later bekijk ik ook wat Max
Grunwald over Dippel schreef. Nu eerst
Stefan
Winkle, Die heimlichen Spinozisten in
Altona und der Spinozastreit. Hamburg: Verein für Hamburgische Geschichte,
1988. - VII, 136 : Ill. – [Beiträge zur Geschichte Hamburgs, #34] - 136 pages [PDF
werd naar hier gebracht]Johann Conrad Dippel (1673-1734) hat an den Universitäten Wittenberg, Straßburg und Gießen vor allem Theologie studiert. Er »war einer der gelehrtesten Männer seiner Zeit«, beherrschte die antiken Philosophen ebenso gut wie die Chemie (Alchimie) und wollte ursprünglich Universitätsprofessor werden, was jedoch an seiner »polemisch-satirisch veranlagten Wesensart« scheiterte. 1697 wurde er durch seine Bekanntschaft mit Arnold zum radikalen Pietisten. Damals prägte er das Stichwort vom »protestantischen Papstthum der Orthodoxie«. Eine seiner ersten Schriften führte den Titel »Papismus protestantium vapulans« (d.h. »Gestäuptes Papsttum der Protestanten«) 1698. Da ihm neben Christus der umfassend gebildete Demokrit von Abdera, der Begründer der antiken Atomistik, als Vorbild vorschwebte, nannte er sich in seinen Schriften kennzeichnenderweise Christianus Democritus.
Als
»alchimistisch-interessierter Kopf« geriet Dippel bald in den Ruf eines
Goldmachers, ähnlich wie sein Zeitgenosse Böttger. Als er 1704 nach Berlin kam,
wurde er aus diesem Grunde besonders von dem Hofmarschall Graf August von
Wittgenstein gefördert. In dessen Auftrag überführte er auch den Alchimisten
Graf Caetano, der versprochen hatte, die leeren Kassen des verschwenderischen
Preußenkönigs mit Gold zu füllen. Er selbst entdeckte zwar mit seinen
Destillierkünsten kein Gold, dafür aber zusammen mit dem Fabrikanten Diesbach
einen wasser- und alkoholunlöslichen Farbstoff; das Berlinerblau. Dieser
Farbstoff hat u. a. in der Buntpapierfabrikation, im Buchdruck und auch in der
Kattun-Druckerei und -Färberei, besonders bei der Blaufärbung der Uniformröcke
und Dreispitze des stehenden Heeres, eine große Rolle gespielt. [21]
Kurz
nach dieser Entdeckung trat Dippel schriftlich mit einem Sektierer, Öliger
Pauli, in Verbindung, der nach längerem Aufenthalt in Amsterdam 1704 in Altona
eine »apostolische Gemeinde von Juden und Christen« errichten wollte, weshalb
er 1705 nicht nur aus dieser sonst so toleranten Stadt, sondern auch aus dem
benachbarten Hamburg ausgewiesen wurde. Pauli wollte in einer
exegetisch-philosophischen Frage von Dippel erfahren, wie denn die Worte
Christi am Kreuz: »Eli. Eli, lama asabthani« (Matth. 27, 46) recht auszulegen
seien. Pauli versuchte den Stoßseufzer Christi nicht als Ausdruck seiner
völligen Verlassenheit, sondern seiner Glorifizierung zu deuten (»Mein Gott,
wie hast Du mich verherrlicht!«), während Dippel darüber entgegengesetzt
urteilte. Mit dem christlichen Grunddogma vom stellvertretenden Leiden Christi
wußte Dippel nichts anzufangen. Gott sei reine Liebe und brauche nicht durch
ein Opfer, auch nicht durch das Opfer Christi, versöhnt zu werden. Bald danach
geriet Dippel in einen theologischen Streit mit dem Generalsuperintendenten von
Schwedisch-Pommern, Johann Friedrich Mayer, der zuvor Hauptpastor an St. Jacobi
in Hamburg war. Auf ein antipietistisches Pamphlet Mayers antwortete Dippel
prompt mit einer sarkastischen Streitschrift: »Unparteyische Gedanken über
einen sogenannten Bericht von Pietisten« (1706). Die Frömmigkeit der
unduldsamen Orthodoxie kennzeichnete Dippel als Zwang; darum lobe auch Mayer an
dem Schwedenkönig Karl XIL »dessen > Religions-Zwingen < [im Sinne von
>cuius regio, eius religio <] als göttliche tügend«. Die Orthodoxie wisse
nicht, was Religionstoleranz sei, denn an die Stelle der christlichen
Nächstenliebe habe sie »Brutalität und Illegalität« gesetzt. Da der
Schwedenkönig daraufhin seine Einkerkerung bei der preußischen Regierung
beantragte, mußte Dippel 1707 Hals über Kopf Berlin verlassen. Als persona non
grata wurde Dippel von Schwedens Erzfeind Dänemark mit offenen Armen
aufgenonmien und noch im gleichen Jahr zum dänischen Kanzleirat mit Sitz in
Altona ernannt. Auch hier knüpfte man an seinen Aufenthalt die Erwartung, es
könnte ihm die Herstellung von Gold oder anderen wichtigen Erfindungen
gelingen.
Doch
schon bald danach begab sich Dippel nach Holland und widmete sich in Leyden dem
Medizinstudium. 1711 empfahl er in seiner Dissertation »De vitae animalis morbo
et medicina« eine andere nach seinem Namen bezeichnete Erfindung, das
sogenannte »Dippelsche Oel«, als Heilmittel gegen Wechselfieber. Dieses Öl
spielte lange Zeit in der Pharmazie auch als antihysterisches, krampfstillendes
und wurmwidriges Mittel eine Rolle.
Nachdem
der schwedische General Stenbock im Januar 1713 Altona in Schutt und Asche
gelegt hatte, ernannte Friedrich IV. noch im gleichen Jahr Graf Christian
Detlev von Reventlow (1671-1738) zum Oberpräsidenten von Altona mit
diktatorischen Vollmachten und beauftragte ihn zugleich mit dem Wiederaufbau
der für Dänemark so wichtigen Grenzstadt (»vor den Thoren Hamburgs«). Bald
danach (1714) kam Dippel auf Einladung von Reventlow, der sowohl an seinen alchimistischen
als auch [22] ärztlichen Künsten persönlich interessiert war, zum zweiten Mal
nach Altona. Er wurde zunächst im Palais des königlichen Statthalters
untergebracht, um ihm im Notfall sofort ärztlich helfen zu können, hatte dabei
aber das ungute Gefühl, er sollte bei seinen alchimistischen Versuchen dauernd
überwacht werden. Auch sonst dürfte Dippel mit seiner asketischen Lebensweise
an dem Treiben im prunkvollen Palais so manches nicht gefallen haben. Nach
einer gewissen Zeit setzte er es durch, in der Stadt unter seinesgleichen
wohnen zu dürfen.
In
der »Wüsteney der Unduldsamkeit« gab es damals in einer Welt von
Glaubensspaltung nur wenige Oasen, wo Andersdenkende so großzügig geduldet
wurden wie in Altona. Nicht umsonst zeigte der kleine, vom dänischen König 1664
zur Stadt deklarierte und weder durch Stadtmauern noch durch Zunftzwang
eingeengte Ort in seinem Wappen - im Gegensatz zu dem benachbarten Hamburg -
ein offenes Tor. Mit dieser Offenheit wollte man gedeihen und wuchs zugleich
zum nachbarlichen Ärgernis heran. In Altona, dem ersten Freihafen Nordeuropas,
wo es noch keine Zünfte mit alten, unerbittlichen Traditionen gab, war man
bereit, Fremden, auch solchen, die weder Vermögen noch Beziehungen hatten, aber
durch Geschicklichkeit »dem Gemeinwesen nützlich sein konnten«, Zuflucht,
Schutz, Arbeit und Handelsmöglichkeiten zu gewähren. So siedelten sich
Niederländer, Juden, Hugenotten, Mennoniten, Quäker und andere, die man wegen
ihrer Bekenntnisse verfolgt hatte, in Altona an.
Unter
den vielen Sektierern konnte Dippel hier zunächst seine Ruhe finden, obwohl er
unter Spinozas Einfluß die Heilige Schrift als ein menschliches Werk
betrachtete und den äußerlichen Gottesdienst, insbesondere die Sakramente
(Taufe und Abendmahl), die nicht von Christus stammten, sondern von den
Menschen eingesetzt wurden, als überflüssig ablehnte, was zu jener Zeit als
eine Ungeheuerlichkeit sondergleichen empfunden wurde. In einem Brief an Craatz
schreibt Dippel:
»Erasmus
Rotterdamus spricht, wenn er beym Platone das Leben des Socrates lese, so könne
er sich nicht enthalten auszurufen: » O Sancte Socrate, ora pro nobis! «...Er
hat geglaubt, daß würcklich Heilige und Fromme Gott wohlgefällige Leute unter
den Heyden gewesen ... Das einzige Büchlein, das wir noch von Mercurii
Trismegisti Schriften übrig haben,
welches voller göttlicher und erleuchteter Pensées ist und mit dem
besten Buch der Heiligen Schrift meines Erachtens die Wagschale hält, kan uns
genug zeigen, daß Gott nicht nur der Juden, sondern auch der Heyden Gott
gewesen und daß seine Liebe und seeligmachende Gnade an keine Secte gebunden.
Was von Platone, Epicteto und Apolonico Thyano zu lesen, überführt uns
ebenfalls, daß sie mit Gott und Christo nach dem Geist Gemeinschaft gehabt ...«
Von
Dippels »Freygeisterey« war in der Nachbarstadt ein junger Hamburger namens
Hermann Samuel Reimarus (1694-1768) nicht unberührt geblieben. Von ihm ist
überliefert, daß er schon in früher Jugend vom Katechismus beunruhigt wurde:
durch die Dreieinigkeitslehre, durch die Ewigkeit der Höllenstrafen und [23]
auf Spinoza und auf die englischen Deisten hingewiesen worden sein. Doch von
seinen Zweifeln ließ er die Umwelt nichts merken.
Dippel
schwebte inzwischen immer deutlicher eine völlig unkirchliche »pietistische
Freygeisterey« als Ziel vor. In der Programmschrift »Ein Hirt und eine Herde«
verwarf er jeden dogmatischen und jeden staatlichen Zwang, wollte nicht einmal
die Bibel mehr als Grundlage der Einigung aller Bekenntnisse ansehen, sondern
die Einigkeit zwischen Christen, Juden, Heiden, Türken auf die Moral allein
gründen und jedem Staatsbürger gestatten, Gott auf seine eigene Weise zu
dienen. Mit seinen undogmatischen Ansichten und seiner für jene Zeit
ungewöhnlichen religiösen Toleranz war Dippel für die Orthodoxen eine permanente
Provokation, besonders im benachbarten Hamburg, wo in den protestantischen
Kirchen seit jeher im Bußtagsgebet die Worte aus Psalm 79,6 zitiert wurden;
»Schütte
Deinen Grimm auf die Heiden und auf die Königreiche, die Deinen Namen nicht
anrufen!«.
In
Altona wohnte Dippel vorübergehend bei dem Prediger der Dümpeler-Sekte Jacob
Denner, der von Beruf Blaufärber war. Der Entdecker des Berlinerblau
interessierte sich jedoch bei seinem Hauswirt weniger für das Blaufarben als
für die Schwierigkeiten, denen diese kleine Sekte von seiten der Orthodoxen
ausgesetzt war. Vertraten doch die »Untertaucher« (holländisch »Dompelaers«)
die Auffassung, daß die Taufe, wenn sie rechtmäßig sein sollte, nicht durch
eine bloße Übergießung, sondern durch ein völliges Untertauchen des ganzen
Leibes unters Wasser geschehen kennen, die sich ebenfalls von den Mennoniten
abgespalten hatte; die der Separatisten. Sie verwarfen unter anderem die
Kindertaufe und zogen sich dadurch wiederholt den Groll der Lutheraner zu. In
seinen »Historischen Kirchen-Nachrichten von der Stadt Altona ...« berichtet
Bolten, wie der herrschsüchtige Probst Fleischer im Sommer 1718 die Kinder
eines Sektenanhängers, »welche selbiger nicht taufen lassen wollte, durch
Zwangsmittel zur Dreifaltigkeits-Kirche bringen ließ, wo er die Taufhandlung an
ihnen vollzog«. Und weiter hieß es im Bericht; »Dieses bewog den bekannten Joh.
Konrad Dippel, ihn [d.h. Probst Fleischer] in einer kleinen anonymen
Spottschrift bitter anzugreifen. Allein Fleischer berichtete alles nach Hofe.«.
In der anonymen Spottschrift »Glaubens-Bekänntnis. Von der Tauff.« (1718) legte
Dippel in Anbetracht der gewalttätigen Taufpraxis mit ätzendem Sarkasmus seine
Ausführungen dem Scharfrichter in den Mund, der als solcher hofft, »auch bald
unter die Sakramentsdiener mit aufgenommen zu werden«.
Vorher
hatte Dippel in die theologische Kontroverse Dassow-Muhlius eingegriffen.
Theodor Dassow, der orthodoxe Generalsuperintendent im königlichen Anteil,
warnte in der Schrift »Fratrum alloquium« (1713) die Geistlichen seines
Sprengels vor dem »Sauerteig des Pietismus«. Sein pietistischer Kollege
Heinrich Muhlius, in glei- [24] eher Funktion im herzoglich gottorpischen
Anteil und zugleich Theologie-Professor an der Universität Kiel, verteidigte
dagegen den Spenerschen Pietismus und dessen Reformbestrebungen in der Schrift
»Fraterna Admonitio« (1716). Dippel war der Streit ein willkommener Anlaß, um
erneut die »geistblinde« Orthodoxie zu attackieren. Unter dem Pseudonym
»Cordatus Libertinus« (»beherzt« und »unabhängig«) schrieb er 1717 seine
»Unparteyischen Gedanken« zur Kontroverse zwischen Dassow und Muhlius.
Die
Schwierigkeiten ließen auch nicht lange auf sich warten. Der ewig Gehetzte und
ruhelose Zweifler, den die Mächtigen als Goldmacher und Arzt zu nutzen gedachten,
um mit seiner Hilfe ihre leeren Kassen aufzufüllen und ihre meist durch Genußsucht
und Ausschweifung erworbenen Leiden zu kurieren, bekam auch hier sehr bald
Ärger nicht nur mit der Orthodoxie, sondern auch mit der Obrigkeit, da er nicht
bereit war, aus seiner »wahren Gesinnung eine Mördergrube« zu machen, und
Ungerechtigkeiten, auch wenn sie von höchster Stelle begangen wurden,
unerschrocken verurteilte. So beschwerte er sich sogar über Ungerechtigkeiten
des eigenmächtigen Altonaer Oberpräsidenten in Kopenhagen, obwohl er wußte, daß
Reventlow mit dem König verschwägert war. In seiner Waghalsigkeit scheute er
sich nicht, auf die Machenschaften der Frau des königlichen Statthalters
Reventlow hinzuweisen, die überall Skandale zu verschleiern versuchte. Er
nannte sie »ein erboßtes Weib«, das unrechtmäßige Vorkommnisse der
Administration deckt und im Einvernehmen nüt den Ratsherren »die gantze
Maschine dirigirt«. In mehreren Schreiben an den König wie an dessen Geheimrat
J. G. Holstein versuchte er, »auf die grausamen und enormen Proceduren
hinzuweisen, welche jetzt in Altona im Schwange gehen, mit solcher Injury und
Imprudence, als ob kein Gott im Himmel und kein König mehr in Dennemark wäre«.
Vor
allen Dingen wollte hier Dippel gewisse Vorfälle in der Rechtspflege zur
Sprache bringen, wie Rechtsbeugung, Torturen »auf Arth der spanisch
Inquisition«, Zeugenbeeinflussung, Begünstigung, Nötigung u. a. m. In einem
Schreiben vom 30. März 1719 an den Geheimrat des Königs, Holstein, erklärt er:
»Der
Graf, nein vielmehr dessen Gemahlin, sind Ankläger und Richter in Ihrer eigenen
Sache, die Rathsherren dienen ihnen als Peiniger und Nachrichter zur
Unterdrückung ... ehrlicher und ganz unschuldiger Leuthe, die wider ihr
besseres Wissen und Gewissen auf nüch und andere ehrliche Leuthe Facta bekennen
sollen, wovon keiner unter uns geträumt ...«
»Man
wirft auf bloße Praesumption [Vermutung] ehrliche Leuthe ins Geföngnis, man tractirt
sie als überzeugte Criminelle, man läßt niemand zu ihnen, entzieht Ihnen gehörige
Nahrung und Warthung ... und es fehlet nichts mehr, daß man sie dem Hencker auf
die Tortur übergebe ...«
Es
handelt sich hier um das zeitlose Phänomen von Willkür und Korruption, was besonders
deutlich aus einem an den König gerichteten Rechtfertigungsschreiben vom [25]
26. Mai 1719 zu ersehen ist, in dem Reventlow auf die Beschuldigungen Dippels Punkt
für Punkt eingeht. Hier nur der Anfang des Schreibens;
»...
1. Es habe meine Frau von dem Juden Caseres einiges Seidenzeug die Elle für 20
ß (wofür er doch in Holland 24 ß gegeben) und eine Parthy Porcellain für 50 Rtr
(welches ihm wohl 300 Rtr in Holland gekostet) abgekauft und ihm, wie er
solches nennet, damit das seinige geraubt.
2.
Es ist fälschlich vorgegeben, daß meine Frau durch Justiz-Mäcklers bey denen Parteyen
umb Gabe [Geschenke] sollicitiren [Rechtshilfe ersuchen] läßt.
3.
daß die Gräfin [d.h. seine Frau] sowohl bey der Sache wider Caseres als wider Lieben
des Ober-Praesidenten Stelle vertreten soll
4.
daß der Magistrat von denen Geldern, welche wegen Reinigung der Straßen jährlich
gesamlet werden, alle Jahre 300 biß 400 Rtr behalten und unter sich getheilet, welches
mir zu einer schweren Verantwortung gereichen würde, wenn ich dabey conniviret
[Nachsicht geübt] hätte.
5.
Es ist fälschlich vorgegeben, als hätte mir des Lieben Sohn am Sonnabend vor dem
Fest auf 20000 Rtr Caution für seinen Vater offerirt [angeboten].
6.
daß eine infame und wegen Diebes-Hehlerey überführte Jüdin den Staupenschlag mit
Geld und einem consilio abeundi abgekauft hätte ...« usw.
(Abkürzungen:
ß = Schilling, Rtr = Reichstaler)
Als
Dippel erfuhr, daß man ihn »auf höchsten Befehl« verhaften wolle, floh er im letzten
Augenblick in das benachbarte Hamburg, wurde jedoch von der freien Stadt, deren
Orthodoxie von jeher schlecht auf ihn zu sprechen war, an die Dänen
ausgeliefert. Aus dem Ankläger wurde der Angeklagte. Die Reaktion seiner
Feinde, die auch heute noch aus der Fülle der Akten, der persönlichen wie der
offiziellen Schreiben, der Protokolle, Verhöre und Zeugenaussagen erregend
spürbar wird, sollte sich für Dippel in einer unheilvollen Weise auswirken.
Indem man die strenge Bestrafung Dippels forderte, schien auch hier der Angriff
die beste Verteidigung gegen die von ihm erhobenen Vorwürfe zu sein. Vor allem versuchte
man, die Anklage auf Unterschlagung öffentlicher Gelder im Einvernehmen mit dem
Grafen zu entkräften. Dafür sollten besonders die beigefügten Protokolle und Aussagen
dienen. Ihre Gleichformigkeit verrät noch heute die bewußte Absicht der
Veranstalter, den Mann, der so unbeirrt seine Stimme für das öffentliche Wohl
erhob, mundtot zu machen und zu vernichten. Kreuzweise gefesselt und in den
scharlachroten Mantel seiner einstigen Würde gehüllt, mußte Dippel nach
Verkündigung der Strafe »auf ewiges Gefängnis« auf dem Rathausmarkt von Altona
mit ansehen, wie fünf seiner Bücher »auf dem unehrlichen Block« vom Henker
verbrannt wurden. Zur Verbüßung seiner lebenslänglichen Strafe wurde er 1719 in
der Festung Hanunerhuus auf der Insel Bomholm eingekerkert, wo er erst nach
siebenjähriger Haft auf Intervention des Grafen Wittgenstein 1726 wieder die
Freiheit erhielt — »ohne mein Gesuch«, wie er mit ungebrochenem Stolz
ausdrücklich bemerkt. Die Begnadigung war mit der Auflage verbun[26] den,
dänisches Hoheitsgebiet nicht mehr zu betreten. Der auf »ewige Zeiten« aus Dänemark
Verbannte begab sich nach Schweden, wo er vorübergehend als königlicher Leibarzt
fungierte und sich durch die Begründung gemeinnütziger Anstalten verdient
machte. Doch abermals bekam er Streit mit der Orthodoxie, die er zeit seines ganzen
unsteten Lebens leidenschaftlich bekämpfte und in dem Titel einer seiner Flugschriften
einmal »orcodoxia« genannt hatte, was doch wohl »Glaube des Orkus«
(Höllenglauben) heißen sollte.
Auf
der Suche nach einem neuen Aufenthaltsort tauchte Dippel im Sommer 1728 in
Hamburg auf und veröffentlichte dort in fieberhafter Eile erneut eine
theologische Streitschrift: »Vera demonstratio evangelica«. In 153 Thesen
verwarf er das Lehrgebäude der Orthodoxie und darüber hinaus jegliches
institutionelles Christentum. Gegen dieses Pamphlet setzte der Plöner Theologe
Petrus Hansen seine »Achtzig Grundfragen«“'. Seine orthodoxe Überzeugung
untermauerte er mit Ansichten des Leibniz-Schülers Wolff unter Anwendung dessen
syllogistisch-demonstrativer Methode. In seinen sarkastischen Gegenschriften“
wies Dippel mit Recht darauf hin, »daß die Philosophie der Aufklärung die
Orthodoxie notwendigerweise nicht stützen kann, weil sie von schlechthin
anderen Voraussetzungen ausgeht, von Voraussetzungen, die letztlich dem
Atheismus den Weg bahnen.« In diesem Sinne stellte er summarisch fest, daß
Hansen »seinen ohnedem sehr seichten und leichten Lutherischen Religions-Apparat
gäntzlich von sich geworffen und den Leibnizischen Atheismus cordicitus
angenommen. Denn ein Gott, er seye so ein künstlicher Maschin-Macher als er
will, der keinen Einfluß mehr in seyn Geschöpf hat, noch Freyheit in demselben
de praesenti zu würcken, was ihm gut deucht, ist kein Gott.«
Während
Dippel erneut die Flucht ergriff, wurde Hermann Samuel Reimarus fast zur
gleichen Zeit (1728) als Professor für orientalische Sprachen an das Johanneum,
das Gelehrtengymnasium seiner Heimatstadt, berufen. Es war ihm gelungen, seinen
einstigen Kontakt mit Dippel ebenso zu vertuschen, wie das einst Leibniz
bezüglich Spinoza getan hatte. Inzwischen begann Reimarus insgeheim an einem
bibelkritischen Werk zu arbeiten, das er diplomatisch »Apologie oder
Schutzschrift der vernünftigen Verehrer Gottes« nannte. Da er in Anbetracht des
Schicksals von Dippel beim Bekanntwerden seiner wahren Gesinnung den Verlust
seines Amtes und die Vernichtung seiner bürgerlichen Existenz befürchten mußte,
verbarg er sein Manuskript im Schreibtisch und gewährte nur seinen engsten
Freunden Einblick.
Der
inzwischen von Stadt zu Stadt irrende Dippel fand 1729 in Berleburg eine
endgültige Zuflucht, wo man unter der Schirmherrschaft des pietistischen Grafen
Sayn-Wittgenstein seit 1726 an einer nach Berleburg benannten Bibelübersetzung arbeitete.
Dort lernte er auch den Pietisten Dr. Johann Samuel Carl kennen, der seit 1728
Leibarzt des Grafen Wittgenstein war. Er wurde sein anregendster
Gesprächspartner, mit dem ihn nicht nur medizinische, chemische und
theologisch-philosophische Interessen verknüpften, sondern auch die gemeinsame
Ablehnung der [27] Orthodoxie. Daher vertraute er ihm auch die Zusammensetzung
seines Heilöls an. Inzwischen wurde es um Dippel immer einsamer. Sogar mit Carl
kam es zu Spannungen. Der Obrigkeit galt er als querulatorischer Aufrührer, den
Pietisten als gottloser Aufklärer und den Aufklärern als wunderlicher Kauz, der
immer noch die Sprache der Frommen redete. Denn er nannte seine Religion der
Zukunft immer noch gern Christentum; was er aber vortrug, das war »das Licht
der Vernunft«. Einmal setzte Dippel den »inneren Christus« sogar durch das
Wörtchen »oder« dem »Gewissen« und der »Vernunft« ausdrücklich gleich. Als
Dippel 1734 in der Karfreitagsnacht ganz plötzlich auf Schloß Wittgenstein
starb, vermuteten seine Freunde, er sei mit Antimon vergiftet worden, seine
Feinde dagegen erzählten, der Teufel habe ihn wie einst »Doktor Faustus« durch
den Kamin geholt.
*
Sechzehn
Jahre nach Dippels Tod hatte Reimarus, der seine frühere Beziehung zu dem
Verstorbenen peinlichst verschwieg, seine »Apologie« in großen Zügen
abgeschlossen. Da gestaltete der Senior Friedrich Wagner, der Hauptpastor
seiner Heimatstadt, seine Büßpredigten nach dem Brand der Michaeliskirche im
Jahre 1750 zu »wahren Gerichtsorgien gegen das gottlose Sodom und Gomorrha
Hamburg, in Sonderheit gegen die frechen und unbändigen Freygeister«, wobei er
immer wieder auf Dippel hinwies. Reimarus dürfte dabei hie und da den Kopf
eingezogen haben, hatte doch Dippel so manche Stelle seiner geheimgehaltenen
bibelkritischen »Apologie« tief beeinflußt. Es wirkt wie eine Ironie des
Schicksals, daß 1760 anläßlich des Todes von Senior Wagner, dem Vorgänger von
Hauptpastor Goeze, ausgerechnet Reimarus dazu bestimmt wurde, den offiziellen
Nachruf zu verfassen, in dem er den Kampf des Verstorbenen gegen den
»Freygeist« Dippel loben mußte, jenen Dippel, dem er selbst so manche Anregung
verdankte, ohne daß es jemand vom breiten Publikum geahnt hätte.
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