“Spinoza gehört unstreitig in die Reihe der Großen.”
[Rudolf Eucken, slotwoorden]
In het vorige blog over R. Eucken gaf ik aan mij even te
willen verdiepen in enige teksten die deze 'neoidealistische' denker over Spinoza
schreef. In dit blog een wat langere tekst uit zijn
• Rudolf Eucken, Die
Lebensanschauungen der großen Denker; eine Entwicklungsgeschichte des
Lebensproblems der Menschheit von Plato bis zur Gegenwart" – 1890 [12e druk 1918. Bij archive.org
Daarin een flink stuk over Spinoza
[p. 345 – 360] die ik hierna overneem.
Het is, zoals gezegd, een wat langere tekst, maar zie hoe
hij (nog wel een beetje door de Hegelse zienswijze beïnvloed) een behoorlijk "charitable
interpretation” van Spinoza biedt. Op vele plaatsen blijkt hij Spinoza goed bestudeerd, maar
daarbij ook goed begrepen te hebben, zoals blijkt uit zinnen als: “Nur betrifft
dann das Ethische nicht sowohl einzelne Leistungen als die Gesamtart des Lebens
und Seins.” Maar door regelmatig terugkomende omschrijvingen als “Denkprozeß
und Naturprozeß miteinander bilden hier das Ganze der Wirklichkeit,” is er de
neiging om het denken als zelf niet behorend tot de natuur te duiden, waardoor
de natuur niet zelf “das Ganze der Wirklichkeit” zou zijn. Frappant vond ik bij
hem de duiding van de kwestie van het eeuwig blijven van een deel van de geest:
als ein ewiger Denkakt Gottes ist er unvergänglich – dat is: ein Erfassen der
Ewigkeit inmitten der Gegenwart. Zijn kritiek leest in Spinoza iets mystieks en
komt dan met het commentaar: “Mechanismus und Mystik ineinanderschieben heißt
keineswegs eine Einheit gewinnen.”
Er is veel meer over te zeggen, maar kennisnemen van deze
behandeling van Spinoza ervoer ik als fascinerend. Ik ben benieuwd of u eraan toekomt zo'n langer stuk uit een werk uit 1890 te lezen.
Die Führer der
Aufklärung
α. Descartes
ß. Spinoza,
aa. Einleitung.
Eigentümliche
Verwicklungen in Spinozas Lehre verrät schon ihr eigentümliches Schicksal. Sie
entspringt aus der Aufklärung und schließt Bewegungen der Aufklärung ab: erst
hier erzeugt diese ein einheitliches Bild vom All, erst hier findet sie den Weg
ins Innerste und Reinmenschliche. Aber trotzdem hat die Aufklärungszeit jene
Lehre nicht anerkannt und zu breiterer Wirkung gebracht, nicht nur die
Kirchlichgesinnten, auch Denker freiester Art, wie ein Bayle, haben sie schroff
abgelehnt. Dagegen begann ihre Zeit, als man der Aufklärung müde wurde und ihre
Denkweise als zu eng empfand; nun schlug eine Begeisterung für Spinoza zu
heller Flamme empor, nun fand ein neues Geschlecht in ihm den klassischen
Ausdruck seiner Überzeugung, im besonderen seines Einheits-verlangens. Dabei
ist Spinoza oft umgedeutet, und er ward sicherlich oft überschätzt, aber es muß
in ihm viel, es muß in ihm mehr als bloße Aufklärung stecken, wenn der größte
deutsche Dichter ihm so tiefe Verehrung zollen konnte.
Merkwürdig
ist auch, daß Spinoza von sehr verschiedener, ja entgegengesetzter Seite Zustimmung
fand. Religiöse und künstlerische Naturen, spekulative Philosophen und große
Naturforscher, Idealisten und Realisten, ja Materialisten, sie waren einig in
der [346] Schätzung des Mannes. Sie konnten das
wohl nur, weil jeder verschiedenes in ihm sah; aber daß man so verschiedenes in
ihm sehen konnte, muß doch an ihm selber liegen; wie erklärt sich das, da er
vor allem Einheit erstrebt und seine Welt in Wahrheit den Eindruck voller
Geschlossenheit macht? Sehen wir, ob eine nähere Betrachtung diese Rätsel des
ersten Anblicks lösen oder doch mildern kann.
bb. Die Welt und der
Mensch.
Es ist das
Verhältnis von Welt und Mensch, was den Mittelpunkt der Arbeit Spinozas bildet;
zur geschlossenen Darlegung ist es namentlich in dem großen Werke -der ,,
Ethik" gelangt. Diese Darlegung verläuft in der strengen Form einer
mathematischen Beweisführung, die Sache aber ist voller Bewegung und Aufregung,
wie ein Drama größten Stiles stellt sich hier das Geschick des Menschen dar.
Zunächst wird ein energischer Kampf gegen die Überhebung nicht sowohl des
einzelnen Menschen als der gesamten Menschheit aufgenommen. Das Weltbild kann
seine Wahrheit nicht erschließen, ohne eine Ausscheidung dessen, was ihm an
menschlichen Zügen beigemengt war; was aber nach solcher Läuterung verbleibt,
das wirkt auf das Bild des Menschen zurück und macht ihn zu einem
verschwindenden Punkt des unermeßlichen Getriebes. Aber solche Demütigung
bildet nicht den letzten Abschluß. Es eröffnet sich aus ihr dem Menschen ein
Weg zu einer neuen Höhe, indem er als Vernunftwesen die Welt als Ganzes denken
und mit ihr innerlich einigen kann; ihre Größe, Ewigkeit, Unendlichkeit wird
damit sein eigener Besitz. Das aber nur, wenn er alle Besonderheit und allen
Willen zur Besonderheit aufgibt, wenn er sich dem Allleben gänzlich einfügt. So
trägt das schließliche Ja in sich ein starkes Nein, und die Lebensbejahung, in
die das Ganze ausklingt, liegt weitab von allem bloßen Naturtrieb.
Indem
Spinoza aus den Grundlinien des Weltbildes alle menschliche Zutat als eine
Verfälschung austreibt und das All allein aus sich selbst zu begreifen sucht,
vermag ein einziger Zusammenhang ihm alle überkommenen Gegensätze zu umspannen.
— Vor allem verschwindet der Gegensatz von Gott und Welt. Sie bilden nicht
verschiedene Wirklichkeiten, sondern sie verhalten sich innerhalb der einen und
alleinigen Wirklichkeit wie Dasein und Wesen, Erscheinung und Grundkraft,
gewirkte und wirkende Natur (natura [347] naturata
und natura naturans). Gott ist das
reine Sein, das Allleben, das aller besonderen Gestaltung zugrunde liegt und
ihre ganze Fülle umfaßt; er ist eben deshalb das Allergewisseste, dessen
Erkenntnis aller übrigen Einsicht vorangeht. So verstanden, braucht Gott nicht
aus sich selbst herauszutreten, um auf die Dinge zu wirken, sondern alles
Wirken liegt innerhalb seines Lebens und Wesens; er bildet, nach der Schulsprache
der Scholastik, die immanente Ursache aller Dinge. Demnach ist nicht sowohl
Gott in der Welt als die Welt in Gott.
Ein solcher
Gott, der die ganze Unendlichkeit in sich faßt, sei nicht nach dem Bilde des
Menschen gedacht. Auch unsere höchsten geistigen Eigenschaften wie Denken und
Wollen gehören zur Welt der Erscheinung und können daher das Unendliche und
Allumfassende nicht angemessen bezeichnen. Auch kann Gott nicht vornehmlich für
das Wohl des Menschen sorgen, dafür alles gestalten, auch nicht den Menschen
nach seinem Verdienste lohnen und strafen. Das ergäbe nicht nur ein zu kleines,
menschenartiges Bild, auch die Erfahrung widerspricht solcher Annahme schroff.
Denn sie zeigt eine völlige Gleichgültigkeit des Weltlaufs gegen die menschlichen
Wünsche und Zwecke, sie zeigt ferner, daß Glück und Unglück unterschiedslos
Gerechte und Ungerechte treffen, daß Stürme, Erdbeben, Krankheiten auch die
Besten nicht verschonen. Wie das alles keine besondere Fürsorge für den
Menschen zeigt, so widerspricht ein Handeln nach Zwecken überhaupt der
Allnatur. Das eben bildet ihre Größe, nichts anderes zu wollen als sich selbst,
ihr eigenes unendliches Sein, das inmitten alles Wirkens wandellos von Ewigkeit
zu Ewigkeit in sich selber ruht.
Das Bild der
Welt blieb bis dahin zerrissen und gespalten, weil der Mensch die Gegensätze
seiner Schätzung: gut und böse, geordnet und ungeordnet, schön und häßlich in
die Dinge hineintrug; das war ein Verfälschen der Wirklichkeit, ein Auseinanderreißen
dessen, was in Wahrheit eine fortlaufende Kette bildet. Werden die Dinge von
solcher Irrung befreit und unter Fernhaltung aller Bewertung rein bei sich selbst
betrachtet, so fügt sich alles zusammen, und aus der Mannigfaltigkeit wird ein
einziges Leben der ewigen Wesenheit. Wohl verläuft die Entfaltung dieses
Lebens, bei der Natur wie bei der Seele, in lauter einzelnen Vorgängen, aber
diese Vorgänge bilden ein zusammenhängendes Gewebe: nicht nur verbindet sie
lückenlos eine kausale Verkettung, nicht nur [348]
unterstellt alle ihre Fülle einfachen und wandellosen Gesetzen, sie sind im
Grunde gar nichts anderes als Entfaltungen des göttlichen Wesens, zeitliche
Gestaltungen des ewigen Seins, Wellen über Wellen im Meere der Unendlichkeit.
Solcher
Zusammenschluß der Wirklichkeit läßt auch eine Überwindung des Gegensatzes von
Körperlichem und Geistigem hoffen, der durch Descartes unerträglich verschärft
war. Zugleich muß das Verhältnis von Subjekt und Objekt, von Denken und Sein,
das Wahrheitsproblem, sich klären. Die ältere Denkweise hatte unbedenklich die
Wahrheit als eine Übereinstimmung unseres Vorstellens mit einem draußen
befindlichen Gegenstande gefaßt. Denn die Welt um uns und das Sein in uns
schienen ihr wesensverwandt, so konnte im Aufnehmen des anderen sich zugleich
das eigene Wesen entfalten. Die moderne Scheidung des Subjekts von der Welt
verbietet ein solches Überströmen der Kräfte und zerstört den alten
Wahrheitsbegriff; wird es gelingen, eine neue Art der Verbindung zu erreichen,
sie zu erreichen nicht auf den künstlichen Umwegen des Descartes, sondern auf
geradem und natürlichem Wege?
Spinoza
glaubt dies in Wahrheit leisten zu können. Körper und Geist gelten ihm nicht
als verschiedene Dinge, sondern nur als verschiedene Seiten ein und desselben
Seins, nur als Entfaltungen, Darstellungen, Daseinsformen desselben
Grundgeschehens; jede Reihe verläuft sich bei selbst, unberührt von der
anderen, ohne alle gegenseitige Störung und Wechselwirkung. Trotzdem stimmen
sie gänzlich zueinander, da, was hier und dort vorgeht, im Wesen ein und
dasselbe ist. Solche Verlegung der Spaltung aus dem Grunde in die Erscheinung
scheint das schwere Problem in einfachster Weise zu lösen und zugleich den
Vorteil zu gewähren, daß keine der Seiten sich der anderen unterzuordnen braucht,
sondern jede sich selbständig entwickeln kann.
Zugleich
erfolgt eine Einigung von Denken und Sein. Von außen her ist beides unmöglich
zusammenzubringen, aber es stimmt, kraft beider Begründung in dem einen
unendlichen Sein, vollständig zueinander; um Wahrheit, volle Wahrheit zu
finden, hat das Denken sich nur mit ganzer Kraft auf sich selbst zu besinnen,
alle fremde Zutat abzustreifen, alle verworrene Vorstellung auszutreiben, lediglich
seinem eigenen Zwange zu vertrauen; aus subjektivmenscliicher Vorstellung muß
es sachlichgebundenes Denken werden. [349] Das
aber kann es erst jetzt nach Entfernung aller menschlichen Werte und Zwecke.
Nunmehr wird die Ordnung und Verbindung der Begriffe dieselbe wie die Ordnung
und Verbindung der Dinge, die logische Verkettung der Einsichten entspricht
genau der realen Verkettung der Ereignisse; was in der Körperwelt draußen
vorgeht, dessen treue Spieglung bildet das Reich der Gedanken. So eine
Übereinstimmung nicht durch eine äußere Berührung, sondern durch die Begründung
beider Reihen in ein und demselben Sein. Denkprozeß und Naturprozeß miteinander
bilden hier das Ganze der Wirklichkeit, alles verläuft dabei mit innerer und
sicherer Notwendigkeit, kein dunkler Rest ist verblieben, sondern das Ganze, so
scheint es, bis zur letzten Tiefe durchleuchtet.
cc. Der Mensch und seine
Kleinheit.
Diese Größe
erreichte das Bild des Weltalls nur bei völliger Befreiung vom Menschen, bei sicherer
Erhebung über seine Vorstellungen und Zwecke. Ganz und gar ist jetzt der Mensch
ein bloßes Stück des Alls geworden, er hat keine Ausnahmsstellung mehr, er
bildet keinen ,, Staat im Staate" (Imperium
in imperio). Wie sein ganzes Dasein nur einen Einzelvorgang, einen
„Modus", im unendlichen All bedeutet, so ist sein Körper nur ein Teil der
unendlichen Ausdehnung, sein Geist nur ein Teil des unendlichen Denkens; wie
jener, gemäß der Lehre des Mechanismus, nur eine Zusammenfügung kleiner
Teilchen, so ist auch der Geist nur ein Gefüge von einzelnen Ideen, keine
innere Einheit; der Wille und der Verstand sind nichts außer den einzelnen
Wollungen und Gedanken. Da weiter auch das Wollen nicht etwas Besonderes neben
dem Denken, sondern nur etwas innerhalb des Denkens ist, nämlich die
Behauptung, wahr zu sein, die in jedem Begriffe liegt, so verwandelt sich der
ganze Mensch in ein Triebwerk einzelner Vorstellungen, er wird, nach des
Denkers eigenem Ausdruck, eine „geistige Maschine" (automaton spirituale). Das ist ein großer Gewinn an Klarheit. Aber
er wird erkauft durch die Preisgebung aller und jeder Freiheit des Handelns;
was unsere eigene Entscheidung dünkt, wird ein bloßes Erzeugnis jenes
Mechanismus; nur deshalb fühlen wir uns frei, weil wir uns wohl unserer
Handlungen bewußt sind, oft aber nicht ihrer Ursachen, und jene daher als
ursachlos betrachten. Demnach seien die Handlungen und Begehrungen des [350] Menschen nicht anders behandelt wie Punkte,
Flächen und Körper; wir haben sie weder zu beklagen noch zu verspotten, sondern
sie zu verstehen.
Solche
Einordnung des Menschen in die Natur macht ihre Gesetze unmittelbar auch zu
Gesetzen seines Strebens. Derselbe Trieb, der draußen alles bewegt, bewegt auch
unser Handeln: der Selbsterhaltungstrieb. Er gehört nicht nur zu unserem Wesen,
er bildet unser Wesen; nie können wir von unserem Selbst absehen, nie um eines
anderen, sondern immer nur um unser selbst willen handeln. Was aber der
Erhaltung oder Steigerung des Selbst dient, das nennen wir nützlich; so geht
auf das Nützliche all unser Tun; je tüchtiger einer ist, desto kräftiger wird
er nach jenem streben.
Indem aber
im Reich der Erfahrung die einzelnen Wesen zusammentreffen, sich durchkreuzen,
hemmen und fördern, entstehen mannigfachste Verwicklungen, ein Getriebe
rastloser Bewegung. Hier ist das Reich der Affekte (Gefühle), hier wird um
Glück gekämpft, hier entstehen Liebe und Haß. Alles subjektive Befinden hängt
dabei an dem Grade der Kraftentfaltung, und alles Verhältnis zu Menschen und
Dingen bemißt sich nach der Leistung für die Steigerung unseres Lebens. Die
verwickelten Verschlingungen der Wirklichkeit lassen solche Abhängigkeit leicht
übersehen, die philosophische Betrachtung aber entdeckt auch in der scheinbaren
Willkür ein gesetzliches Wirken und bestätigt damit die naturwissenschaftliche
Behandlung des Menschenlebens.
Unser Dasein
bewegt sich zwischen Lust und Leid; wie aber sind diese selbst zu verstehen?
Die Lust ist der Zustand, worin der Geist zu einer größeren, das Leid, worin er
zu einer geringeren Vollkommenheit übergeht, d. h. zu größerer oder geringerer
Stärke des Lebens. Lust und Schmerz aber erzeugen Liebe und Haß; denn wo bei
der Lust ein äußeres Ding als ihre Ursache vorgestellt wird, da entsteht Liebe,
Haß dagegen, wo dies beim Schmerz geschieht; je nachdem uns das Erlebnis freut
oder schmerzt, wird sein Urheber uns Freund oder Feind. So kennen auch Liebe
und Haß keine Willkür; was uns fördert, das müssen wir lieben, was uns
schädigt, das müssen wir hassen und können an solchem Lieben und Hassen nicht
das mindeste beliebig verändern. Liebe und Haß beschränken sich dabei nicht auf
die Dinge, die uns direkt berühren. Denn dieser Dinge Ergehen hängt wieder an
anderen; so wirken durch jene hindurch auch diese sonst fremden Dinge zu [351] uns. Daher überträgt sich auch auf sie, wenn auch
abgeschwächt, unser Affekt: wir lieben die Freunde unserer Freunde, weil sie
fördern, was uns fördert, und wir lieben die Feinde unserer Feinde, weil sie
schwächen, was uns schädigt; umgekehrt hassen wir die Feinde der Freunde und
die Freunde der Feinde. Das erstreckt sich weiter und weiter auf alle
Verwandtschaften, Beziehungen und Nebenumstände der Erlebnisse. Alles, was
irgendwie, wenn auch äußerlich und zufällig, mit angenehmen Erfahrungen
zusammenhängt, an sie erinnert usw., bewirkt Lust, das Gegenteil Schmerz. Auf
solchem Umwege kann auch die entfernteste Sache Lust oder Schmerz, Liebe oder Haß
erzeugen; die uns selbst oft rätselhaften Sympathien und Antipathien erklären
sich einfach daraus, daß sich hier unserem Bewußtsein der Grund verbirgt, der
uns etwas lieben oder hassen läßt. Jene Affekte aber treiben zwingend zum
Handeln, wir müssen fördern, was uns nützt, unterdrücken und zerstören, was uns
schädigt. Alle Mahnung der Moralisten ändert nichts an solcher Notwendigkeit,
einen Affekt bezwingen kann nur ein stärkerer Affekt, nicht bloße Wünsche und
Entschlüsse. So eine gründliche Durchleuchtung des Getriebes der Affekte, eine
Auflösung ihres verschlungenen Gewebes, eine Fundgrube praktischer
Menschenkunde. Spinoza will bei dem allen lediglich schildern, keine aufdringliche
Beurteilung stört die reine Entfaltung des Tatbestandes. Aber der Rückblick auf
das Ganze treibt notwendig zu einer Schätzung; diese läßt aber ersehen, wie
wenig dem Denker jener Stand des Menschen genügt. Denn mag im Getriebe des
Lebens der Einzelne hie und da etwas gewinnen, im großen und ganzen bleibt er
an eine fremde und dunkle Welt gebunden; von äußeren Ursachen werden wir
ruhelos hin und her geworfen, wie von entgegengesetzten Winden bewegte
Meereswogen, unkundig unseres Ausgangs und Schicksals, Sklaven der Affekte,
auch untereinander in stetem Zwiespalt und Streit; alles in allem ein Stand von
Knechtschaft und Leid. Ist das der letzte Abschluß, oder führt ein Weg aus der
Knechtschaft zur Freiheit?
dd. Der Mensch und
seine Größe.
In Wahrheit
vollzieht Spinoza hier eine große Wendung, die er freilich mehr verdeckt als herausgearbeitet
hat; er hätte sie nicht herausarbeiten können, ohne einen klaffenden Spalt in
seiner eigenen [352] Gedankenwelt aufzudecken. Der Denker gibt jene Wendung als
eine bloße Fortführung des anfänglichen Strebens, als ein Zuendegehen des Weges
der Natur, während in Wahrheit eine völlige Umwälzung erfolgt und gegenüber der
Natur eine neue Wirklichkeit einführt. Das Ziel der Selbsterhaltung und des
Nutzens soll bleiben, nur müßten wir ein in Wahrheit (re vera), ein von Grund aus (ex
fundamento) Nützliches erreichen, wie es die gewöhnliche Lebensführung
nicht kennt. Ein solches Nützliche gewährt allein die Erkenntnis, das Werk
echter Wissenschaft. Denn indem sie alles sonst Äußere und Fremde von innen her
aufklärt und bis zum Grunde durchleuchtet, verwandelt sie es in unseren Besitz,
und versetzt sie uns ihm gegenüber in den Stand der Tätigkeit; kann unser
Denken von sich aus die Dinge entwickeln, so verschwindet ihr Druck, so werden
wir ihre Herren, vollauf tätig und damit selig. Das Denken kann dies aber nur,
sofern es uns als Glieder der Weltverkettung betrachtet, unseren Zustand aus
der notwendigen und ewigen Ordnung der Dinge versteht. Seine Vollendung
erreicht dies Werk erst durch eine Anknüpfung an Gott, das alles begründende
Wesen; indem das Denken aber von hier aus alle Mannigfaltigkeit als die
Entfaltung der unendlichen Substanz versteht, sie unmittelbar in ihrem
belebenden Grunde sieht, ist es nicht mehr logisch verkettendes, sondern
anschauendes Wissen (scientia intuitiva).
Solche anschauliche Erkenntnis Gottes ist das unvergleichlich höchste Gut und
das Endziel alles Strebens. Indem sie unser ganzes Dasein in Erkennen
verwandelt, führt sie es zu voller Freiheit und Tätigkeit und vertreibt sie
zugleich alles Leid. Auch die Affekte legen alles ab, was an ihnen Leiden ist,
sobald wir sie klar und deutlich durchschauen; sie enthalten dann nicht mehr
Schmerz und Entsagung, sondern nur noch Streben und Lust. So gestaltet sich
nunmehr das ganze Leben zu tätiger Kraft und entschiedener Bejahung, es
erwächst das Ideal eines „freien Menschen", der alle schmerzvollen
Zustände als ein Übel abweist; Mitleid, Demut, Reue usw. mögen der niederen
Lebensstufe frommen, der höheren taugen sie nicht; hier heißt es: „wer eine Tat
bereut, der ist doppelt unglücklich oder ohnmächtig".
Das ist ein
hohes Ideal, dem der Mensch nur allmählich sich nähern kann. Aber mag ihn die
wahre Erkenntnis nicht leicht ganz erfüllen, immer haben wir gegen die Affekte
das Heilmittel klarer und deutlicher Einsicht; je mehr wir die Ereignisse, die
uns [353] treffen, in ihren notwendigen
Zusammenhängen durchschauen, desto weniger können sie uns erregen, desto
völliger wird uns ihr Denken einnehmen, wird es auflösen, was an Liebe und Haß
aus ihnen entsprang, und den Geist zur Ruhe reiner Betrachtung führen. So wird
die wünsch- und willenlose Anschauung das Mittel zur Befreiung von aller
Aufregung und allem Schmerz, zur Versetzung unseres ganzen Wesens in Frieden
und Seligkeit.
Dies alles
gewinnt aber den Zusammenhang eines Alllebens und zugleich die volle seelische
Vertiefung erst durch die Anknüpfung an jene anschauende Erkenntnis Gottes, des
ewigen und unendlichen Seins, in ihr erst vollendet sich unser Denken und
Leben. Nun sahen wir, daß, was unser Wohlsein erhöht, notwendig unsere Liebe
erweckt; so wird gegen Gott eine unermeßliche Liebe entstehen. Diese Liebe ist
allem weit überlegen, was irgend sonst Liebe heißt; sie ist kein gewöhnlicher
Affekt mit seiner verworrenen Leidenschaft, sondern sie entspringt aus dem
Erkennen, ist „intellektuelle Liebe" (amor
intellectualis). Solche echte Liebe zu Gott enthält kein Verlangen nach
einer Erwiderung von Seiten Gottes. Denn Gott kann seiner Natur nach nichts
Besonderes im menschlichen Sinne lieben; das wäre zu niedrig für ihn. Darum
heißt es: „wer Gott wahrhaft liebt, kann nicht versuchen, daß Gott ihn wieder
liebe". So gibt es ohne ein völliges Aufgeben des kleinen Ich keine
Befreiung und Erhöhung. Gott aber liebt sich selbst, die ganze Ewigkeit und
Unendlichkeit, mit intellektueller Liebe, und es ist die intellektuelle Liebe
des Geistes zu Gott ein Teil der unendlichen Liebe, womit Gott sich selber
liebt. Damit empfängt das Weltall eine geistige Tiefe und ein inneres Leben,
immer freilich in weitem Abstand vom menschlichen Seelenleben.
Solche
Einigung mit dem Allwesen gewährt dem Menschen auch eine Ewigkeit. Für eine
Unsterblichkeit als eine unbegrenzte Fortführung der besonderen Existenz hat
Spinoza weder Sinn noch Platz. Nur solange der Körper dauert, kann der Geist
vorstellen und sich vergangener Dinge erinnern; die Auflösung des Körpers also
ist auch das Ende dieses gesonderten und gebundenen Seelenlebens. Aber als in
Gott gegründet kann unser Geist mit dem Untergang des Körpers nicht ganz
erlöschen, in Gott bleibt notwendig eine Idee, welche sein Wesen unter der Form
der Ewigkeit ausdrückt, als ein ewiger Denkakt Gottes ist er unvergänglich. Er
ist es um so mehr, je mehr ihn die rechte Einsicht aus der Welt der [354] Wirkungen in die des ewigen Grundes versetzt; je
stärker damit sein unvergänglicher Teil wird, desto weniger kann ihm der Tod
anhaben. In dieser Gedankenrichtung erscheint wohl gar der Untergang des
Körpers als ein Abstreifen aller Vergänglichkeit, als eine Befreiung von der
niederen Lebensform: ,,nur solange der Körper dauert, unterliegt der Geist
Affekten leidender Art".
Aber dem
Philosophen besagt die Unsterblichkeit nicht vornehmlich die Hoffnung einer besseren
Zukunft, sondern eine unmittelbare Erhebung über alles zeitliche Sein, ein
Erfassen der Ewigkeit inmitten der Gegenwart; aus solcher Gesinnung heißt es:
,,der freie Mensch denkt über nichts weniger als über den Tod, und seine
Weisheit ist ein Sorgen nicht für den Tod, sondern für das Leben". Um
gemäß der Vernunft zu handeln, bedürfen wir nicht des Gedankens der Unsterblichkeit
und einer Vergeltung. Auch wenn wir nicht wüßten, daß unser Geist ewig ist,
würden wir Wohltun und Frömmigkeit, Mannhaftigkeit und Edelsinn für das Höchste
halten; denn der wahrhaft Freie handelt nicht eines Lohnes halber, sondern aus
der Notwendigkeit seiner eigenen Natur, und es ist die Seligkeit nicht der Lohn
der Tugend, sondern die Tugend selbst. Darin besteht die Seligkeit, daß der Geist
seine höchste Vollkommenheit erreicht hat; das aber geschieht durch jene
Erkenntnis Gottes. ,,So ist der Weise seiner und Gottes und der Dinge mit
ewiger Not wendigkeit bewußt, er hört nie auf zu sein, sondern er hat immer die
wahre Befriedigung des Geistes."
Das Leben,
das in eine so volle und freudige Zuversicht ausklingt, gibt der Ethik wie der
Religion eine neue Grundlage und eine eigentümliche Gestalt. Es mag befremden,
daß das Hauptwerk eines Denkers „Ethik" heißt, der soviel Mühe darauf verwandt
hat, die ethische Schätzung auszutreiben und alle Wirklichkeit in die bloße
Tatsächlichkeit eines Naturprozesses zu verwandeln. Aber bei Spinoza ist für
den Menschen jene im absoluten Sein begründete Tatsächlichkeit selbst ein hohes
Ziel; wir befinden uns nicht schon in der echten Wirklichkeit, sondern wir
müssen uns zu ihr erst erheben; so tritt unser Leben unter den Gegensatz einer
Hingebung an die Welt der Erscheinung und eines Aufsteigens zur Welt des
Wesens, einer eigensinnigen Festhaltung kleiner Sonderart und eines willigen
Eingehens in das unendliche Sein, so trägt es in sich eine große Entscheidung
und eine durchgehende Aufforderung zu erhöhender Tat. Die Wendung zum echten
Erkennen [355] ist selbst eine Tat, eine Tat des
ganzen Wesens. Damit aber wird sie eine ethische Handlung. Nur betrifft dann
das Ethische nicht sowohl einzelne Leistungen als die Gesamtart des Lebens und
Seins. In geradem Widerspruch zu dem, was sein Bewußtsein erfüllt, gehört
Spinoza zu den Denkern, die den Menschen mit der Religion und dem Christentum
vor ein Entweder— Oder stellen und nicht so sehr einen allmählichen Fortschritt
als eine völlige Umwälzung fordern.
Auch im
Grundzuge seiner religiösen Überzeugung ist er dem Christentum verwandter, als
sein schroffer Zusammenstoß mit der kirchlichen Form zum Ausdruck bringt. Bei
Spinoza zuerst kommt der Konflikt der neueren universalen und rationalen
Denkart mit der überlieferten historischen und vielfach anthropomorphen zu
vollem Ausbruch. Das Göttliche ist hier nicht ein besonderes Sein neben
anderem, eine Persönlichkeit menschlicher Art, sondern es umfaßt und
durchdringt die ganze Welt und wirkt an jeder Stelle aus den Dingen selbst
heraus, es begünstigt auch unter den Menschen nicht die einen vor den anderen
durch besondere Mitteilungen, sondern es offenbart sich in der gemeinsamen
Vernunft und Natur gleichmäßig zu allen Zeiten und Orten; demnach bedarf es zur
Religion keiner geschichtlichen Tatsachen und keines geschichtlichen Glaubens.
Besonders hart wird der Zusammenstoß bei der Lehre von den sinnlichen Wundern;
Spinoza verwirft sie nicht nur wegen seiner wissenschaftlichen Lehre von der
Ausnahmslosigkeit der Naturgesetze, sondern auch aus seiner religiösen Überzeugung,
welche diese Ausnahmslosigkeit als einen Ausdruck der Unwandelbarkeit des
göttlichen Wirkens versteht und verehrt. Mag das Volk Gott der Natur
entgegensetzen und seine Macht besonders durch außergewöhnliche, der Natur
scheinbar widersprechende Ereignisse bekundet finden, dem Denker bedeutet eben
das Alltägliche und Durchgängige das Große und Göttliche; auch verwirft er die
von alters her zur Verteidigung der Wunder aufgebotene Unterscheidung eines
Übernatürlichen und eines Widernatürlichen. Denn ein Übernatürliches, das in
den eigenen Bereich der Natur hineinfällt, ist eben deshalb widernatürlich, die
behaupteten sinnlichen Wunder aber liegen nicht jenseits, sondern innerhalb der
Natur. So beginnt nunmehr die Erschütterung der sinnlichen Wunder in der Überzeugung
der Menschheit; bevor der Natur eine innere Gesetzlichkeit zuerkannt war, hatten
sie nicht den mindesten An-[356]stoß erregt,
auch die radikalsten Bewegungen der Reformationszeit ließen sie unangetastet.
Descartes hatte jene Gesetzlichkeit erkannt, aber entweder sah er nicht ihre
Konsequenz, oder er sprach sie aus Vorsicht nicht aus.
Aber bei
allem Abstand von der kirchlichen Form des Christentums fühlt Spinoza sich ihm
in eben dem Punkte verwandt, der ihm selbst als der Mittelpunkt seiner
Gedankenwelt gilt, in der Lehre von dem Eingehen Gottes in die Welt und der
lebendigen Gegenwart des göttlichen Geistes an jeder Stelle. Wohl findet er es
unverständlich, daß Gott, das ewige und unendliche Sein, menschliche Natur
sollte angenommen haben, und er hält es nicht für nötig, Christus „nach dem
Fleisch", d. h. nach der geschichtlichen Erscheinung zu kennen; aber
,,über jenen ewigen Sohn Gottes, d. h. die ewige Weisheit Gottes, welche sich
in allen Dingen, und am meisten im Menschengeist, und am allermeisten in Jesus
Christus geoffenbart hat, ist ganz anders zu urteilen. Denn ohne sie kann
niemand zum Stand der Seligkeit kommen, da sie allein lehrt, was wahr und
falsch, gut und böse sei". In sehr bemerkenswerter Weise wird an dieser
Stelle der Menschengeist über alles andere Sein, und wird zugleich Jesus über
alle anderen Menschen erhoben, während sonst der Denker ein gleichmäßiges
Wirken der Gottheit im Weltall verficht. Aber Spinoza ist mehr als seine
Lehren, und seine Welt ist reicher als das Netzwerk seiner Begriffe; ja
vielleicht ist er nirgends größer, als wo er sich selbst widerspricht, d. h. wo
die innere Notwendigkeit seines Wesens ihn über seine Lehre hinaustreibt.
ee. Würdigung.
Daß Spinoza
einen tiefen Eindruck machte, und daß er noch immer manche Geister gewinnt, das
erklärt sich zum Teil schon aus der Art, in der er seine Gedanken vorträgt. Die
Darstellung hat einen sicheren Zug ins Große und Wesenhafte, ins Einfache und
Schlichtmenschliche. Alle Arbeit wird von sachlicher Notwendigkeit getragen und
getrieben; so sehr bindet diese die Kraft des Denkers, daß der subjektiven
Stimmung und Erwägung kaum irgendwelcher Raum verbleibt, und daß auch die
gewaltigsten Umwälzungen sich hier mit der Ruhe eines Naturprozesses
vollziehen. Aber deshalb fehlt dem Ganzen keineswegs eine Seele, in ihm wirkt
eine ausgeprägte Persönlichkeit und erwärmt durch ihre stille Gegen-[357 ]wart alle Begriffe und Lehren. Wohl trägt die
Begriffsarbeit das schwere Rüstzeug der Wissenschaft und die Gedanken bilden geschlossene
Ketten, nichts tritt hier plötzlich und unvermittelt ein, der eine Stein
scheint sich sicher zum anderen zu fügen. Auf der Höhe der Arbeit aber ergeben
sich große Überblicke, intuitiv erfaßte Wahrheiten, sie sind nicht nur das
Beste des Ganzen, sie überzeugen zugleich am meisten. Nirgends mehr als in
ihnen erscheint der Denker als ein Weiser, ein Weiser auf modernem Boden und
mit modernen Mitteln. Diesem Weisen aber war ein schlichtes und stilles Heldentum
beschieden, in einem entsagungsvollen Leben hatte er die Ruhe und Überlegenheit
des Geistes zu bewähren, die seine wissenschaftliche Überzeugung fordert. Und
er hat sie bewährt. Ein gänzliches Einswerden von Leben und Lehre gibt seinem
Dasein die volle Wahrhaftigkeit, die wir ebenso freudig bei den Alten bewundern,
wie bei vielen Neueren schmerzlich vermissen.
Aber
Spinozas Größe ehren heißt nicht seinen Gedankengängen sklavisch folgen, ist
doch bei ihm selbst das Große oft dem lehr haften Vortrag erst abzuringen. Er
verfährt mit den Problemen oft viel zu summarisch, und er schiebt bei ihrer
Behandlung nicht selten unabweisbare Wahrheiten und problematische, ja falsche
Behauptungen durch- und ineinander. Nur wer von seiner Leistung zu den
treibenden Kräften vordringt, kann durch alle Kritik der Lehren Spinozas
hindurch in ihm einen großen Meister verehren.
Von der
Größe des Weltgedankens ergriffen, sucht Spinoza alle Spaltung ihm fernzuhalten
und alle Mannigfaltigkeit in ein Gesamtbild einfachster Art zu verwandeln. Gott
und Welt, Seele und Körper, Denken und
Wollen, sie sollen völlig geeinigt oder doch miteinander ausgeglichen werden.
Hat Spinozas System solche Einigung erreicht? Etwa für den ersten Eindruck,
nicht aber für eine genauere Prüfung. Welt und Gott bilden keine völlige Einheit,
wenn auch nur der Schein einer Selbständigkeit der Einzelwesen gegenüber dem
Allleben aufkommen kann. Dieser Schein aber beherrscht nach Spinoza den
Durchschnitt der menschlichen Lage; zur Befreiung von ihm bedurfte es der
Aufbietung aller Kraft des Denkens. Woher solche Macht des Scheins, wenn alle
Mannigfaltigkeit innerhalb des Alllebens liegt?
Seele und
Körper besagten verschiedene Seiten desselben Seins. Geistesleben und
Naturprozeß sollten in vollem Gleichgewicht nebeneinander verlaufen. In
Wahrheit hat Spinoza dieses Gleichgewicht [358] nirgends
erreicht, er hat entweder das Geistesleben der Natur oder die Natur dem
Geistesleben untergeordnet, jenes in der Grundlegung, dieses beim Abschluß seiner
Gedankenwelt. Denn dort erscheint als der Grundbestand der Wirklichkeit die
Natur, die Gesetze ihres Mechanismus erweitern sich zu Gesetzen des Alls und
beherrschen auch die menschliche Seele; diese bildet nur ein Bewußtwerden des
körperlichen Geschehens, eine Spiegelung des Naturprozesses; das muß zum
Naturalismus, ja Materialismus führen. Ganz anders beim weiteren Verlauf und im
Abschluß der Ethik. Denn nur dadurch erfolgt die entscheidende Wendung und
Befreiung, daß das Denken sich zu völliger Selbständigkeit über alle Natur hinaushebt
und ein reines Beisichselbstsein gewinnt, von dem aus angesehen die Natur zu
einer bloßen Erscheinung des Weltgrundes wird. Wo das Leben in der Anschauung
Gottes seine Höhe findet, das All sich selbst erlebt, und die göttliche Liebe
dem Weltprozeß eine Seele gibt, Ja überwiegt offenbar eine spiritualistische
Denkart. So gerät dieser Versuch des Monismus bei seiner Ausführung in einen
Dualismus, wie er schroffer kaum denkbar ist. Mechanismus und Mystik
ineinanderschieben heißt keineswegs eine Einheit gewinnen.
Erkennen und
Wollen sollten in Eins zusammengehen, indem der Willensakt gänzlich dem
Erkenntnisprozeß eingefügt wird. Aber im Ansichziehen alles Lebens wird das
Erkennen mehr als bloßes Erkennen. Wo die Erkenntnis die echte Selbsterhaltung
des Menschen bedeutet, wo sie das ganze Sein in Tätigkeit, Freude, Liebe verwandelt,
da ist sie mehr als ein bloßes Verstandeswerk, da wird sie zur Entfaltung eines
tiefer gegründeten Lebens, zum Ausdruck eines reinen Beisichselbstseins des
Geistes. So aber wächst aus der versuchten Lösung des Problems ein neues,
schwereres Problem hervor.
Trotz
solcher Unzulänglichkeit behält Spinozas Streben nach mehr Einheit und mehr
Zusammenhang der Welt ein gutes Recht. Es bildet die entschiedenste Abkehr von
dem scholastischen Unternehmen, die Probleme vornehmlich durch ein Abstufen und
Scheiden der Begriffe zu lösen; es wirkt wie eine Rückkehr zur Wahrheit der
Natur, wie ein Überwinden toter Erstarrung, wenn mehr Einheitsverlangen sich
regt, wenn die verschiedenen Seiten der Wirklichkeit wieder zueinander streben,
ja sich zu einem einzigen Leben zu verbinden suchen. Auch wer die besondere
Lösung ablehnt, kann sich der Anregung freuen, die aus solchem Streben
hervorging. [359]
Wie sich das
Weltbild nicht so glatt und einfach zusammenschließt, so ist auch die Verwandlung
unseres Lebens in reine Anschauung weder so rasch erreichbar, noch allen
Aufgaben unseres Daseins gewachsen. Aber in dem Verlangen eines affektlosen Erkennens
wirkt bei Spinoza ein Streben nach einem neuen Grundverhältnis des Menschen zur
Wirklichkeit, nach einer neuen Gestaltung des Lebens. Der Denker verwirft die
überkommene Lebensführung, Weil sie auch in scheinbarer Erweiterung den
Menschen immer bei sich selbst, im Kreise seiner eigenen Vorstellungen, Zwecke,
Gefühle beläßt; eine Versetzung in das Ganze des Alls durch echte Erkenntnis
soll davon befreien, ein energischer Kampf gegen die Selbstsucht der Individuen
nicht nur, sondern der gesamten Menschheit wird aufgenommen.
In solchem
Streben erscheint eine neue Woge weltgeschichtlichen Lebens, ein Rückschlag
gegen eine Bewegung, die bis in den Ausgang des Altertums zurückreicht und in
Augustin philosophisch gipfelt. Von verzehrendem Glücksdurst getrieben und
zugleich durch seine gewaltige Natur auf das Ganze der Welt gewiesen, hatte
dieser alle Weite und Fülle des Daseins der Rettung und Seligkeit des Menschen
untergeordnet, er hatte in Ausführung dessen allen Lebensgebieten einen
leidenschaftlichen Affekt eingeflößt, alles Sein in glutvolles Wollen und Streben
verwandelt. Wohl waltete dabei im tiefsten Grunde die Überzeugung, daß der
Mensch nicht um sein selber willen, sondern als Glied einer geistigen und
göttlichen Ordnung gehoben und erhalten werde, aber schon Augustins eigenes
Ungestüm führte viel Bloßmenschliches dabei ein, und dieses hatte im Lauf der
Zeit das Leben immer enger umsponnen. Die Neuzeit hat von Anfang an jene Art
als ungenügend, als klein und unwahr empfunden, aber ihr Streben nach größerer
Weite klärt und befestigt sich erst bei Spinoza. Nun erhellt, daß es zu einer
Befreiung nicht genügt, mit der Renaissance stürmisch ins Große und Weite zu
streben, sondern daß es dazu einer inneren Wandlung, der Herausarbeitung eines
Weltlebens innerhalb der menschlichen Seele bedarf. Dieses Weltleben glaubt
Spinoza aber im Erkennen zu finden, das bei selbständiger Entwicklung dem
Menschen den Sachgehalt der Dinge zuführt und alle Selbstheit in die
Unendlichkeit und Ewigkeit des Alls erlöschen läßt. Das erscheint als eine
gründliche Erlösung von einengender Subjektivität und dem wirren Getriebe
menschlicher Affekte und Zwecke. [360]
Wo aber das
All, das All als eine feststehende und unwandelbare Natur, so ausschließlich
unser Leben erfüllt, da verschwindet nicht nur alle Willkür, sondern auch alle
Freiheit, da erhebt sich zu überwältigender Größe die Macht der reinen
Tatsächlichkeit, der Naturnotwendigkeit, des Schicksals. Das Altertum hatte
diese Macht vollauf gewürdigt, das Christentum unternahm es getrosten Muts, die
Menschheit über sie hinaus in ein Reich der Freiheit zu heben. Seine
geschichtlichen Gestaltungen nahmen aber meist das Problem zu leicht, sie
überflogen den Widerstand mehr als sie ihn überwanden. So dient es der Wahrheit
des Lebens, wenn Spinoza wieder vollauf anerkennt, was unser Dasein an Natur
und Schicksal enthält.
Dazu will
auch bei dieser Wendung zur Natur Spinoza im Grunde mehr, als seine Begriffe
zum Ausdruck bringen. Er sucht nicht die bloße Natur, er sucht in der Natur und
hinter der Natur ein tieferes Wesen, ein wesenhaftes Leben und Sein. Nach
seiner Überzeugung hat unser Handeln nur insofern Wahrheit, als wir in ihm
unser Sein und Selbst erhalten; wollen wir also ein echtes Handeln, so gilt es
ein Erringen eines echten Seins. Dafür aber fordert er eine Umwälzung der vorgefundenen
Lage, eine Aneignung der Ewigkeit und Unendlichkeit des Alls. So macht Spinoza
nicht dieses oder jenes am menschlichen Leben, sondern das Ganze dieses Lebens,
den Menschen selbst zum Problem; dessen Lösung fordert einen unerbittlichen
Kampf gegen alle Enge des kleinen Ich, alles gemeine Glück, das ganze Gebiet
des Nutzens und der Zwecke. Durch allen Intellektualismus scheint damit eine
tiefere Welt hindurch.
So wirkt
Spinoza zu uns mit starken Anregungen. Aus seinem umständlichen Gedankengerüst
sind sie oft aber erst herauszuheben; schon das erklärt, daß des Denkers Größe
erst voll zur Geltung kam, als man ihn aus weiterer Ferne sah und ihn daher
freier behandeln konnte. Dabei mußte aber die Deutung um so mehr auseinandergehen,
als in Spinoza widerstreitende Gedankenreihen zusammentreffen, die eine Einheit
wohl erstreben, nicht aber sie erreichen. Vielleicht enthält kein großer Denker
im Grunde so schroffe Widersprüche. So kann Spinoza nur der recht schätzen, der
in der Philosophie weniger ein geschlossenes Lehrsystem als eine Weiterbildung
menschlichen Wesens, ein Eröffnen neuer Lebenstiefen sucht. Denn darauf
angesehen, gehört Spinoza unstreitig in die Reihe der Großen.
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